(„Inside Llewyn Davis“ directed by Ethan Coen and Joel Coen, 2013)
Doch nicht schon wieder! Kaum ein Ereignis ist bei Musikfans wohl so gefürchtet wie sie: die Vorband. Sicher, da ist immer mal wieder Interessantes dabei. Außerdem ist es legitim, ja sogar lobenswert, dem Nachwuchs eine Bühne zu bieten, die sie allein nie füllen könnten. Oft genug aber aus gutem Grund, böse Zungen behaupten sogar, sie wären allein aus dem Grund da, das Publikum beim Warten auf den Hauptact zum Bierkauf zu verleiten. Besonders hoch im Kurs scheinen da selbsternannte Singer-Songwriter zu sein, die voller Ernsthaftigkeit und nur mit einer Klampfe bewaffnet über Gott und die Welt singen. Das mag ehrlich gemeint sein, reicht oft aber nicht über Postkartenpoesie hinaus und kann einen dann schon mal zur Weißglut treiben.
Was nun, wenn man selbst Singer-Songwriter ist und mitansehen muss, wie diese inhaltsleeren Happy-Sappy-Prediger Plattenvertrag und fette Trinkgelder kassieren, die eigene Karriere aber nur in heruntergekommene Clubs führt? Llewyn Davis (Oscar Isaac) könnte ein Lied darüber singen, nur würde sich dafür wieder niemand interessieren. Schon das Album, das er mit Mike Timlin aufgenommen hatte, wollte niemand wirklich haben. Und bei seinem Debüt „Inside Llewyn Davis“ sieht es nicht besser aus. Zu düster und unkommerziell ist Llewyns Folkmusik, nichts, womit die Massen etwas anfangen könnten.
Ganz anders bei Jean (Carey Mulligan) und Jim (Justin Timberlake), die mit ihrer weichgespülten Heileweltinterpretation – und ihrem guten Aussehen – Anfang der 60er zu den Lieblingen der New Yorker Folkszene gehören und sich vor Anfragen gar nicht retten können. Llewyn hingegen ist schon froh, wenn er abends eine Decke über dem Kopf hat, kein Sofa, auf dem der glücklose Musiker nicht schon übernachtet hat, weil das Geld für eine eigene Bleibe fehlt. Privat sieht es nicht besser aus: Der senile Vater ist im Heim, die eigene Schwester will nichts mit ihm zu tun haben und Jean ist nach einem gemeinsamen One-Night-Stand mit ihm schwanger. Ob es seins ist, weiß niemand, für die Abtreibung soll er dennoch bezahlen. Einziger Lichtblick in der Misere ist die Aussicht, einmal vor dem berühmten Manager Bud Grossman (F. Murray Abraham) spielen zu dürfen und dann vielleicht endlich seinen Durchbruch zu schaffen.
In ihren Filmen hatten die Brüder Ethan und Joel Coen schon immer eine Schwäche für Außenseiter gehabt, mit O Brother, Where Art Thou? zeigten sie 2000 bereits ihre Liebe zur volkstümliche Musik. Und das mit wahnsinnigem Erfolg, der Soundtrack ging damals in den USA fast 8 Millionen Mal über die Ladentheken. Wenn die eigenwilligen Regisseure bei Inside Llewyn Davis diese beiden Komponenten nun miteinander verknüpfen, ist das daher kaum überraschend. Anders als vielleicht erwartet, ist ihr neuestes Werk aber nur sehr bedingt im Komödiengenre angesiedelt. Ganz darauf verzichten mögen die Brüder auf witzige Einlagen zwar nicht, die betreffen aber eher einige kauzige Nebenfiguren oder den Running Gag, dass Llewyn sich ständig und unfreiwillig um Katzen kümmern muss.
Ansonsten herrscht eine melancholische Atmosphäre, die in überwiegend blass-braunen Bildern eingefangen wird. Eine wirkliche Handlung ist damit nicht verbunden, eher einzelne Episoden, die uns Charaktere und die damalige Zeit wiederbringen sollen. Hauptinspirationsquelle hierfür bildete der amerikanische Folkmusiker Dave Van Ronk, der in den 60ern eine Galleonsfigur dieses Genres war, und dessen Memoiren „The Mayor of MacDougal Street“. Das geht so weit, dass die fiktive Schallplatte „Inside Llewyn Davis“ der realen „Inside Dave Van Ronk“ nachempfunden wurde.
Eine reine Biografie ist Inside Llewyn Davis jedoch nicht. Während van Ronk ein freundlicher Mensch gewesen sein soll, kann man das von Davis kaum behaupten: Er stänkert, lästert und lässt recht ungehemmt seinen Frust über den mangelnden Erfolg an anderen aus. Doch trotz seines miesen Verhaltens, trotz seines Egoismus, Mitgefühl mit dem gescheiterten, leicht depressiven Sänger hat man, der es ernst meint, wirklich etwas sagen möchte, aber keine Zuhörer findet, während die seicht-albernen Nummern ein Massenpublikum erreichen. Der Film ist damit gleichzeitig eine Antwort auf Heuchelei im Musikbiz und die Suche nach dem schnellen Geld. Bestes Beispiel: Jean, die auf der Bühne von Harmonie singt, abseits davon aber ein ziemliches Miststück ist.
Carey Mulligan spielt diese Rolle wunderbar und darf wie schon in Shame ihre tolle Stimme vorführen, auch die üblichen Verdächtigen John Goodman und F. Murray Abraham sorgen wieder für Glanzpunkte. Doch das Spotlight, das gehört einzig und allein Oscar Isaac, der in seiner ersten großen Hauptrolle nicht nur sein schauspielerisches, sondern auch sein gesangliches Talent unter Beweis stellt. Bei ihm wird Llewyn Davis zu einem komplexen Charakter, begabt, ausdrucksstark, aber eben auch verzweifelt, desillusioniert, zynisch und noch immer in Trauer um den Tod seines Kompagnons Mike.
Allein seinetwegen lohnt sich der Film schon, genauso für die Musik. Natürlich muss man mit Folk schon etwas anfangen können. Aber wer das tut, darf sich über den Soundtrack des erfahrenen Produzenten T-Bone Burnett freuen. Der war nicht nur für eine Reihe von Filmmusiken verantwortlich (O Brother, Where Art Thou?, Walk the Line, True Detective), sondern arbeitete als Produzent unter anderem für John Mellencamp, Natalie Merchant und die Counting Crows.
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