(„Maleficent“ directed by Robert Stromberg, 2014)
Es war einmal eine böse, mächtige Hexe, die ursprünglich eine freundliche Fee war, mit reinem Herzen und stattlichen Flügeln. Als solche führte sie ein magisches Reich an, voller fantastischer Kreaturen und voller Schätze, die in den verschlungenen Wäldern verborgen sein sollen. Einen solchen sucht auch der junge Stefan, ein mittelloses Waisenkind aus dem benachbarten Königreich der Menschen. Tatsächlich findet er auch einen Edelstein, stößt dabei aber auf einen viel größeren Schatz: Maleficent. Obwohl sie verschiedenen Rassen angehören, werden die beiden schnell Freunde. Und vielleicht auch ein bisschen mehr.
Jahre später haben sie sich aus den Augen verloren, Maleficent (Angelina Jolie) ist zu einer wunderschönen Herrscherin herangewachsen, Stefan (Sharlto Copley) steht in Diensten des Königs. Als sein Monarch eines Tages das Feenreich erobern will und dabei schwer verletzt wird, fordert er den Tod der geflügelten Zauberin. Stefan – der von Kindheit an große Ambitionen hatte – erliegt der Versuchung und hintergeht seine Jugendfreundin, um selbst König zu werden. Enttäuscht von dem Verrat ihrer Kindheitsliebe wandelt sich Maleficent zu einer verbitterten dunklen Hexe und belegt Stefans Tochter Aurora mit einem Fluch – noch vor ihrem 16. Geburtstag soll sich die Prinzessin an einer Spindel stechen und in einen ewigen Schlaf fallen, aus dem sie nur durch echte Liebe erweckt werden kann.
Disney und Märchen, das hat eine lange und ruhmreiche Tradition. Mit Schneewittchen und die sieben Zwerge widmete sich 1937 schon der erste abendfüllende Zeichentrickfilm des Mäusestudios einer überlieferten Geschichte, viele weitere folgten. Vor einigen Jahren kamen die Verantwortlichen dort auf die Idee, einige dieser alten Geschichten doch noch ein zweites Mal zu verfilmen, aber aus einem ganz anderen Blickwinkel. Nachdem Tim Burtons Alice im Wunderland im Vergleich zu der Zeichentrickvariante doch sehr enttäuschte, war im letzten Jahr Sam Reimis Die fantastische Welt von Oz eine erstaunlich unterhaltsame Neuinterpretation des Kinderbuchklassikers. Und auch deutlich erfolgreicher als Disneys erster Versuch, aus Lyman Frank Baums Buchreihe Kapital zu schlagen (Oz – Eine fantastische Welt).
Dieses Mal ist der Regiestuhl mit keinem bekannten Namen bedruckt, Robert Stromberg gibt hier schließlich sein Debüt ab. Doch unerfahren ist der Mann keineswegs, er war nicht nur Szenenbildner bei den beiden Filmen oben, auch bei Avatar – Aufbruch nach Pandora war er für die Erschaffung fremdartiger Welten zuständig. Dem steht Maleficent – Die dunkle Fee nun in keiner Weise nach. Gerade das Feenreich und seine seltsamen Wesen, zunächst verspielt-traumhaft, später finster-schimmernd, ist für das fantasiegeneigte Auge ein Festmahl. Überhaupt lassen Optik und Special Effects, wie bei Disney üblich, keine Wünsche offen.
Überraschend dabei ist jedoch, wie düster die Neuinterpretation von Dornröschen geworden ist. Verschwunden ist der in Die fantastische Welt von Oz noch so prominent eingesetzte Humor, Maleficent – Die dunkle Fee ist vielmehr eine Mischung aus Alice im Wunderland und Herr der Ringe. Ein bisschen aufgelockert wird die Geschichte durch Knotgrass (Imelda Staunton), Flittle (Lesley Manville) und Thistlewit (Juno Temple) die als etwas unbedarfte Feen nicht nur für die Fürsorge von Aurora, sondern auch für die buntgetupften Comedy-Relief-Momente zuständig sind.
Doch die große Bühne, die gehört eindeutig Angelina Jolie. Nicht nur, dass sie auf der Bekanntheitsskala in einer ganz anderen Liga spielt als ihre Mitdarsteller aus der zweiten Reihe und Maleficent – Die dunkle Fee ihre erste Rolle seit vier Jahren ist, die Schauspielerin verschmilzt geradezu mit der verbitterten, leicht wahnsinnigen Fee, der man zujubelt und sie gleichzeitig fürchtet. Wenn sie mit Genuss Unglück über alle anderen bringt oder zumindest das Leben schwermacht, ist das neben der fantastischen Kulisse sicher das überzeugendste Argument, sich den Film einmal anzusehen.
Von den anderen Darstellern lässt sich das eher nicht behaupten. Sowohl Elle Fanning als erwachsene Aurora als auch Sam Riley, der Maleficents Diener spielt, bleiben blass. Doch das ist weniger auf die Darsteller als auf den ihnen zugedachten Rollen zurückzuführen. Hier wurde alles so eindeutig auf Jolie zugeschnitten, dass für die anderen kein großer Platz mehr blieb. Überhaupt ist inhaltlich alles zielgruppengerecht recht einfach gehalten. Die Menschen sind treulos und machtgierig, wahre Güte gibt es nur in der Natur – nein, differenziert ist man hier nicht, Maleficent ist meilenweit von einem Prinzessin Mononoke entfernt. Und wirkliche Überraschungen gibt es im späteren Verlauf, abgesehen von der originellen Abwandlung des Themas, auch keine mehr.
Wer aus dem Film nicht etwas anderes machen will als einen neuen Disney und darüber hinaus ein Faible fürs Märchenhafte hat, darf dennoch beruhigt ins Kino laufen, zumal diverse Elemente aus der Zeichentrickfassung von 1959 auch ältere Zuschauer versöhnlich stimmen. Das erste empfängt einen gleich beim Trailer, Lana Del Reys gespenstisch-schöne Coverversion von „One Upon a Dream“. Bei so viel Liebe zum Detail und Respekt vor dem Ursprungsmaterial darf man dann jetzt schon gespannt sein, was sich der Mäusekonzern bei Cinderella einfallen lässt, der nächstes Jahr in die Kinos kommen wird.
Maleficent – Die dunkle Fee läuft ab 29. Mai im Kino
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