(„Sherlock – Season1“ directed by Paul McGuigan and Euros Lyn, 2010)
„Und was, wenn wir einen Reboot machen?“ Schon früher griffen Film und Fernsehen gerne auf bekannte Gesichter und Geschichten zurück, wann immer ihnen die Ideen oder auch der Mut zu Neuem fehlten. Nachdem das Wort Remake irgendwann aber einen recht negativen Beigeschmack erhalten hatte, erfand man einfach das neue Buzzwort Reboot und machte weiter wie bisher. Am Prinzip hatte sich nichts geändert, auch hier kramte man Altbewährtes aus der Mottenkiste und versuchte es so gut es ging an den Zeitgeist anzupassen. Aus kreativer Sicht vielleicht nicht die größte Erfüllung, aus finanzieller dafür schon: Gerade die diversen Superheldenfilme (Batman Begins, Man of Steel, The Amazing Spiderman) spülten viel Geld in die Kassen und auch im Fernsehen gibt es einige erfolgreiche Beispiele (Hannibal, Bates Motel).
Ein Selbstläufer sind solche Neuauflagen nicht. Wie viel muss ich ändern, um heutige Zuschauer anzulocken? Wie viel darf ich ändern, ohne alte Fans zu vergraulen? Nachdem der Versuch, Miss Marple eine Frischzellenkur zu verpassen (Marple) nur auf wenig Gegenliebe stieß, waren die Erwartungen eher gering, als es hieß, dass mit Sherlock Holmes ein weiterer legendärer Ermittler seine Arbeit wiederaufnehmen sollte. Zumal 2009, also ein Jahr zuvor, schon der Film Sherlock Holmes mit Robert Downey Jr. zum unerwarteten Blockbuster geworden war. Was braucht es da noch eine BBC-Serie?
Wirklich vergleichbar sind die beiden aber nicht. Während Guy Ritchie in seiner Version dem Rahmen der Bücher treu blieb und einen viktorianischen Actionfilm aus dem Hut zauberte, behielten Steven Moffat und Mark Gatiss nur einige Grundcharakteristika bei. Aus dem 19. Jahrhundert wurde die Gegenwart, Holmes ist mit Handy und Computer seinen Gegnern auf der Spur, Watson führt einen Blog. Klingt furchtbar, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Sherlock war bei Zuschauern und Kritikern so erfolgreich, dass diverse Staffeln gleich hinterhergedreht wurden, Benedict Cumberbatch (Star Trek: Into Darkness, Inside Wikileaks) und Martin Freeman (Der Hobbit) durften danach sogar kräftig Hollywoodluft schnuppern.
Die beiden Briten erwiesen sich bei der Besetzung auch als absoluter Glücksgriff. Anders als bei Downey Jr., der als durchtrainierter Frauenschwarm durchaus Heldenqualitäten beweist, mimt Cumberbatch einen zwar brillanten, dafür aber sozial gestörten Sonderling, dessen einziges Interesse seinen Fällen und dem geistigen Messen mit Bösewichtern gilt. Nationale Sicherheit und persönliche Empfindsamkeit spielen da eine untergeordnete Rolle, unnützes Wissen wird gnadenlos ausgesiebt. Und dazu zählen dann auch so alltägliche Kenntnisse wie die Drehung der Erde um die Sonne.
Im Gegensatz dazu ist Freemans Watson deutlich bodenständiger, setzt mit seiner Alltagsschläue den Kontrast zu der isolierten Intelligenz seines Mitbewohners. Dass beide immer wieder mit Unverständnis aufeinander reagieren, bleibt nicht aus und macht einen wichtigen Teil des Spaßes aus. Da muss der Fall an sich schon mal hintenanstehen. Die erste der drei Geschichten von Staffel eins, Ein Fall von Pink, dient vor allem der Etablierung der beiden Charaktere. Sicher gibt es auch hier ein Rätsel zu lösen – mehrere Menschen begehen unabhängig voneinander Selbstmord – aber die Auflösung ist schon an den Haaren herbeigezogen. Besser läuft es bei Der blinde Banker, in dem ein Bankangestellter in seinem von innen verschlossenen Apartment tot aufgefunden wurde. Doch der Höhepunkt ist Das große Spiel, in dem Holmes Rätsel lösen muss, um Geiseln zu befreien. Bei diesem perfiden Wettstreit mit einem unbekannten Erpresser steigt die Spannungskurve steil nach oben, endet zudem mit einem besonders fiesen Cliffhanger.
Zu dem Zeitpunkt hat man als Zuschauer die ganzen technischeren Spielereien auch längst vergessen. Anfangs wirkt der starke Zugriff auf Handy, Rechner und Internet schon ein wenig aufgesetzt, später wussten Gatiss – der zudem die Rolle von Sherlocks Bruder Mycroft übernahm – und seine beiden Koautoren die neuen Medien aber geschickt in die Geschichten einzubauen. Puristen dürften immer noch mit der Nase rümpfen, werden aber immerhin mit zahlreichen Anspielungen auf die Bücher versöhnlich gestimmt. Lediglich bei Holmes ewigem Gegenspieler Moriarty schoss man ein wenig übers Ziel hinaus. Die Figur ist von Andrew Scott zwar sagenhaft wahnsinnig gespielt und ein ebenbürtiges Gegenstück zu Cumberbatch, ihn verschwörungsmäßig bei allen Fällen einzubauen, hätte dann aber auch nicht unbedingt sein müssen.
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