(„The Wolf of Wall Street“ directed by Martin Scorsese, 2013)
Wenn auf jemanden der Ausdruck „Wolf im Schafspelz“ zutrifft, dann auf ihn: Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio). Mit seinem strahlenden Lächeln und Kleinjungencharme könnte er einem so ziemlich alles verkaufen, was nicht die schlechteste Voraussetzung für einen Börsenmakler ist. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit dem Mittzwanziger, ausgerechnet an dem Tag, an dem er seine Lizenz erhält, rauschen im schlimmsten Crash seit 1929 sämtliche Aktienwerte in den Keller. Belfort und seine Frau Teresa (Cristin Milioti) stehen plötzlich vor dem Nichts.
Mehr aus der Not heraus heuert er daraufhin bei einer kleinen Firma an, die sich auf den Verkauf von Pennystocks spezialisiert hat. Die sind deutlich weniger wert als die großen Aktien, oft nicht viel mehr als Ramsch. Dafür sind die Gewinnmargen enorm, weswegen Belfort dank seines Verkaufstalents bald richtig viel Geld nach Hause bringt. Beeindruckt und auch ein klein bisschen neidisch schließt sich ihm bald sein Nachbar Donnie Azoff (Jonah Hill) an. Gemeinsam mit ein paar anderen moralisch flexiblen Bekannten gründen sie das Unternehmen Stratton Oakmont und genießen das neu entdeckte Luxusleben bis zum Anschlag. Doch damit erregt er nicht nur die Aufmerksamkeit der Wall Street und der Presse, auch FBI-Agent Patrick Denham (Kyle Chandler) interessiert sich für dessen Geschäfte.
Als dieses Jahr der Oscar für den besten Hauptdarsteller verkündet wurde, überschlugen sich die Internetforen schon Minuten später mit Spott und Häme. Zum dritten Mal war Leonardo DiCaprio nominiert gewesen – plus je eine als Nebendarsteller und Produzent – zum dritten Mal ging er leer aus. Bitter vor allem, dass er die begehrte Trophäe Matthew McConaughey für Dallas Buyers Club überlassen musste, der in The Wolf of Wall Street einen kleinen, aber urkomischen Auftritt als Belforts Mentor Mark Hanna hat. Der ist es auch, der den jungen Mann erst in die große, glitzernde und reichlich scheinheilige Welt der Wall Street einführt.
Wie es hinter den Kulissen aussieht, wird dem Zuschauer auch gleich zu Beginn verraten, als einem seriösen Hochglanzwerbespot für Stratton Oakmont eine Szene aus dem Büroalltag folgt. Seriös ist dort gar nichts, die Angestellten vertreiben sich die Zeit damit, Kleinwüchsige auf eine Zielscheibe zu werfen. Ein Ausrutscher? Nicht wirklich, bei dem Börsenhändler herrscht jeden Tag der Ausnahmezustand, hier wird gefeiert, gekokst und so ziemlich jede Geschmacksgrenze überschritten, die man sich vorstellen kann. Die Themen Verführung und Maßlosigkeit ziehen sich dann auch durch den gesamten Filmen, hier wird in voller Breite gezeigt, was aus Menschen wird, die durch Geld und Macht berauscht den Zugang zur Realität verloren haben.
Doch The Wolf of Wall Street ist kein Drama, ein dämonisierendes schon mal gar nicht. Anders als Oliver Stones thematisch ähnlicher Klassiker Wall Street inszenierte Regielegende Martin Scorsese seinen Beitrag über Gier und mangelnde Moral als schillernde Satire. Gerade Belfort und Azoff taugen trotz ihrer diversen Missetaten nicht als klassische Bösewichter. Vielmehr wirken sie wie kleine, eigentlich nette Jungs, die unbeaufsichtigt im Süßwarenladen unterwegs sind und – durch die fehlenden Aufpasser – alles nehmen, was sie finden.
Dass Belfort und die anderen nicht schlechter wegkommen oder durch den Film verurteilt werden, wir auch keine Konsequenzen ihrer Betrügereien zu sehen bekommen, darf man fragwürdig finden, ist letztlich aber konsequent: The Wolf of Wall Street basiert auf dem gleichnamigen Bestseller des realen Belforts. Und das der eine etwas andere Sicht auf die Dinge hatte als etwa der Mann auf der Straße ist nicht wirklich verwunderlich. An einem nüchternen Biopic hatte Scorsese dennoch kein Interesse, dafür ist vieles bei ihm überzogen, die Glücksritter sind immer einen Schritt von der Karikatur entfernt. Dadurch sind die vielen Sex-, Drogen und Party-Eskapaden herrlich absurd und – meistens – verdammt witzig.
Ganz ohne Längen kommt die Satire dennoch nicht aus. Zwar soll Scorsese, wohl auch um der Oscarjury entgegenzukommen, das ursprüngliche Material beträchtlich gekürzt haben. Mit einer Laufzeit von fast drei Stunden ist The Wolf of Wall Street aber noch immer ein ziemlich dicker Brocken. Und so amüsant das meiste hier auch ist, die eigentliche Geschichte kommt durch die vielen Episoden oft ins Stocken. Aber auch wenn der Altmeister durchaus noch häufiger zur Schere hätte greifen dürfen, ist sein Spätwerk doch sehr unterhaltsam geworden – nicht zuletzt aufgrund der Spielfreude seiner Darsteller, die nicht minder hemmungslos als die realen Vorbilder agieren. Abgerundet wird das Filmvergnügen durch die vielen Gastauftritte bekannter Namen und Gesichter.
The Wolf of Wall Street ist seit 30. Mai auf DVD und Blu-ray erhältlich
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