(„When the Wind Blows“ directed by Jimmy Murakami, 1986)
Nachdem wir uns in den ersten beiden Teilen unseres wöchentlichen Animationspecials in fantastischeren Gefilden herumtrieben, wird es Zeit in die Realität zurückzukehren – oder das, was die Leute vor 30 Jahren befürchteten, Realität werden zu können. Bekannt geworden war der englische Illustrator und Autor Raymond Briggs mit seinen familientauglichen Werken wie „Father Christmas“ (1973) oder „The Snowman“ (1978). Als ihm nach der Ausstrahlung eines TV-Specials zum Thema Atomkrieg vorgeschlagen wurde, daraus sein nächstes Buch zu machen, war allen natürlich klar, dass dies nur ein Scherz war. Doch wie das manchmal so ist mit witzig gemeinten Anmerkungen, manche von ihnen lassen einen nicht mehr los.
Wie würde ein älteres Ehepaar der Arbeiterklasse reagieren, wenn ein solcher Krieg ausbricht? Diese Frage nahm Briggs zum Ausgangspunkt, als er „When the Wind Blows“ schrieb. Schon 1980 hatte in der Graphic Novel „Gentleman Jim“ die Geschichte von Jim and Hilda Bloggs erzählt. In dem 1982er Werk liegt Jims Zeit als Kloputzer hinter ihm, er genießt sein Rentendasein und lebt glücklich mit seiner Frau in einem kleinen Häuschen auf dem Land. Eines Tages jedoch hört er in der Stadtbücherei von den Gefahren eines Nuklearanschlags durch die Sowjetunion. In heller Aufregung nimmt er Broschüren der Behörden mit nach Hause, in denen Maßnahmen für einen solchen Krieg aufgelistet werden, und beginnt sich vorzubereiten. Bis der Tag tatsächlich eintritt.
Als die Geschichte 1986 verfilmt wurde, suchte sich Briggs jemanden dafür aus, der bereits Erfahrungen mit seinen Werken hatte: Schon bei der berühmten Adaption von „The Snowman“ hatte der japanisch-amerikanische Regisseur Jimmy Murakami seine Finger im Spiel, dieses Mal hatte er die schwierige Aufgabe, das wohl traurigste Werk des Briten in bewegte Bilder zu fassen. Und das Ergebnis ist mehr als ungewöhnlich.
Das Prinzip, Zeichentrick mit Realaufnahmen zu kombinieren, kannte man in den 80ern natürlich schon, gerade bei Disney hatte man damit vorher einige mal mehr, mal weniger Erfolge gefeiert (Mary Poppins, Elliot, das Schmunzelmonster). Doch dort beschränkte man sich darauf, gezeichnete Figuren mit realen Menschen in der normalen Welt interagieren zu lassen. Wenn der Wind weht ist hingegen ein Hybrid aus Zeichentrick und (nachmodellierten) Objekten, die per Stop Motion Einstellung für Einstellung bewegt wurden. Das kennt man vor allem aus Knetmasseabenteuern wie Wallace & Gromit und Mary & Max oder dem Kultpuppenfilm Nightmare Before Christmas. Hier wurden beide Techniken zusammengebracht, etwa wenn die gezeichnete Hilda eine Decke über sich legt.
Ganz zusammen passt das nicht, man sieht die Unterschiede dann doch sehr deutlich. Wer mit den stark homogenen Bildern der heutigen Computeranimationen groß geworden ist, wird sich deshalb vielleicht an den offensichtlichen Übergängen stören, zumindest aber über sie stolpern. Interessant ist diese Mischung aber, genauso wie die einfach gezeichneten reinen Zeichentrickpassagen, die anfangs mit sehr weichen, freundlichen Farben arbeiten, später monochrom und deutlich greller ausfallen.
Am meisten bleibt Wenn der Wind weht aber natürlich nicht seiner Optik wegen im Gedächtnis, sondern wegen des Inhalts. Ähnlich wie der zweite große Antikriegs-Animationsfilm der 80er, Die letzten Glühwürmchen, verfolgen wir auch hier voller Anteilnahme und doch komplett hilflos das Schicksal zweier Menschen. Dass die Bloggs anders als das japanische Geschwisterpaar längst erwachsen sind, ändert erstaunlich wenig. Die Eheleute mögen deutlich älter sein, sind dafür aber auch einfach gestrickt und von einer herzerwärmenden Unschuld.
Gerade zu Beginn, wenn Jim reichlich obrigkeitshörig versucht, die Broschüren eins für eins umzusetzen – so unsinnig die teilweise auch sein mögen – breitet sich immer wieder ein Schmunzeln auf dem eigenen Gesicht aus. Doch genau dieses kommt einen mit der Zeit abhanden, wenn man als Zuschauer längst ahnt, was da vor sich geht, die Bloggs aber immer noch so tun, als wäre nichts geschehen, es vermutlich auch gar nicht verstehen. Sich über den Schutt aufregen, wundern, warum denn der Postbote nicht mehr kommt.
Das kann man durchaus als Kritik an der Regierung auffassen, die ihre Bürger mit der Angst allein ließ. Oder auch als eine an einer Bevölkerung, die ihrer Regierung hinterherläuft, ohne je darüber nachzudenken. Auch als Zeitporträt einer Gesellschaft, die in der ständigen Angst vor einem Atomschlag leben musste, könnte man Wenn der Wind weht bezeichnen. Eine Warnung vor den Folgen eines solchen ist der Film ja ohnehin.
Und doch wird irgendwann all das zur Nebensache, die Verantwortungslosen da oben, die Verantwortlichen hinter der Bombe. Briggs erzählt mit soviel Wärme und Zuneigung von den beiden älteren Menschen, die lose auf seinen eigenen Eltern basieren, von ihren kleinen Marotten und Schrullen, dass sie einem ans Herz wachsen. Nur um genau dieses dann zu brechen. Denn in erster Linie ist Wenn der Wind weht vor allem eins: Die tieftraurige Geschichte zweier liebenswürdiger Menschen, die ohne Schuld und ohne Kenntnis ein unwürdiges Ende finden.
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