(„Am Ende der Milchstraße“ directed by Leopold Grün, Dirk Uhlig, 2012)
Wie in ein Thema einsteigen? Das ist für Filmemacher immer die große Frage. Umso mehr für Regisseure von Dokumentarfilmen, schließlich gibt es hier weniger inszenatorische Tricks oder bekannte Gesichter. Manche greifen dann auf erklärende Texttafeln zu Beginn zurück oder lassen die porträtierten Menschen ihre Geschichte erzählen. Bei besonders ikonischen Themen – der Mauerfall zum Beispiel – reichen vielleicht auch Bilder, um den Kontext herzustellen.
Leopold Grün und Dirk Uhlig gehen bei ihrer zweiten Zusammenarbeit Am Ende der Milchstraße einen ganz eigenen Weg, lassen lange offen, worum es hier eigentlich geht. Wir sehen einen Mann, der in einem fahrbaren Kiosk arbeitet. Kühe trotten an einem Berg alter Autoreifen vorbei. Ein Großvater liest mit seinen Enkeln eine Zeitung. Knapp zwölf Minuten dauert es, bis die beiden bei ihrem Streifzug das Ziel eingekreist haben. Ein älterer Mann sitzt an einem Steg, schaut in die Leere, versucht zu fischen. Denn viel mehr als das ist ihm nicht geblieben.
„In der Gesellschaft gibt es eigentlich keinen Spielraum mehr, sagen wir es mal so. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, die klafft immer weiter auseinander. Und wenn du erstmal unten angekommen bist, dann hast du da auch zu bleiben. Das ist gesellschaftlich gewollt. Politisch gewollt.“
Er ist einer der rund 50 Einwohner von Wischershausen, einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Kaleidoskopartig zeigen uns Grün und Uhlig, wie der Alltag der Gemeinde aussieht, was dort so alles passiert. Und das ist nicht viel. Früher, in den 70ern und 80ern, da ging es den Leuten von Wischershausen wohl nicht schlecht. Man hatte kleine landwirtschaftliche Betriebe, hielt sich Schweine oder anderes Vieh. Doch nach der Wende ging es stetig bergab. Die großen Betriebe haben alles aufgekauft, da blieb für die kleinen nichts mehr übrig. Den Rest erledigte der technische Fortschritt: Einfache Landarbeiter wie hier, die braucht es nicht mehr. Ein ähnliches Thema hatte auch Still kürzlich, der von der sich wandelnden Situation von Milchbauern in Bayern erzählte. Während dort jedoch immer noch nach neuen Wegen gesucht wird und die Hauptdarstellerin voller Kraft war, hat man sich hier bereits aufgegeben.
Das ist dann auch das Gefühl, das der Film vermittelt: Am Ende der Milchstraße warten keine spannenden Abenteuer oder große Schätze, sondern das Nichts. Das Vergessen. Und Resignation, natürlich. Hier, im Niemandsland der östlichen Bundesrepublik, fühlt man sich im Stich gelassen von denen da oben, auf dem Weg zur mehr Gewinn einfach beiseite geschoben. Das Regieduo schafft es hier sehr anschaulich, die Nöte und Ängste der Dorfbewohner zu vermitteln, ohne selbst je in Erscheinung zu treten oder auch unnötig auf Betroffenheit zu setzen. Dramatische Schicksale werden hier nicht gezeigt, es ist die Einfachheit der Leute und ihrer Probleme, durch die Am Ende der Milchstraße seine Wirkung erzielt.
Allerdings ist diese spröde, unspektakuläre Herangehensweise gleichzeitig das Manko des Films. Viel gesprochen wird hier nicht, über die allgegenwärtige Armut und Arbeitslosigkeit hinaus erfahren wir nichts über die Bevölkerung. Dadurch bleiben sie einem fremd, zu weit weg, eben als wären sie Bewohner eines entfernten Sterns und wir nur zu Besuch dort. Zusammen mit den ausgiebigen, düsteren Landschafts- und Dorfaufnahmen, erzielt Am Ende der Milchstraße zweifelsfrei die gewünschte Stimmung von Trostlosigkeit, Perspektivlosigkeit. Aber eben auch eine etwas langweilige. Je tiefer wir eintauchen in das ländliche Nichts, umso größer wird der Wunsch, da schnellstmöglich wieder rauszukommen und wieder etwas Spaß zu haben.
Am Ende der Milchstraße ist seit 30. Mai auf DVD erhältlich
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