(„Meikyū Monogatari“ directed by Rintarô, Yoshiaki Kawajiri and Katsuhiro Ôtomo, 1987)
Wenn’s mal etwas kürzer sein darf: Wir alle haben sicher schon einmal Filme gesehen, bei denen man sich fragt, wie die Leute dahinter auf die Idee kamen, eine simple Idee auf 90, 120 oder gar 180 Minuten ausdehnen zu wollen. Dann doch lieber gleich einen Kurzfilm draus machen. Das ist nicht nur ehrlicher, sondern hat auch den Vorteil, dass man hier wunderbar mit kleinen optischen Ideen experimentieren kann. Nachteil: Die Möglichkeiten der Vorführung sind begrenzt. Wenn man sie nicht gerade als Vorfilm oder im Rahmen spezieller Festivals zeigt, bleibt nur die Möglichkeit, mehrerer dieser kurzen Vergnügen zusammenzufassen und so auf Spielfilmlänge zu bringen. Im Animationsbereich zeigte Walt Disney schon in den 40ern mit Fantasia oder Drei Caballeros, wie gut das funktionieren kann. In Japan begann die Blütezeit der Kurzfilm-Anthologien erst in den 80ern, doch dafür fanden sich oft richtig große Namen zusammen – so auch in Manie Manie – Labyrinth-Geschichten, dem achten Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials.
Die große Klammer der Anthologie von 1987 ist dabei niemand aus dem Filmgeschäft, sondern Taku Mayumura. Der japanische Science-Fiction-Autor hatte ein Jahr zuvor die Kurzgeschichtensammlung „Meikyū Monogatari“ (dt.: „Labyrinth-Geschichten“) veröffentlicht. Die beiden Mitbegründer des Animationsstudios Madhouse – Masao Maruyama und Rintarô – kamen daraufhin auf die Idee, in Zusammenarbeit mit Project Team Argos drei davon als Zeichentrickvariante gebündelt als Direct-to-Video-Produktion zu veröffentlichen.
Rintarô, der vorher schon mit den beiden Galaxy Express 999-Filmen erfolgreich gewesen war, inszenierte dann auch eines dieser drei Segmente. Das Labyrinthos-Labyrinth – Eröffnungsfilm und Rahmenhandlung der Anthologie – ist der einzige der drei Kurzfilme, der dem Labyrinththema tatsächlich treu bleibt. Schon zu Beginn, wenn wir einem Mädchen zusehen, das mit seinem Kater Cicero in einem großen Haus Verstecken spielt, hat man das Gefühl, nicht so ganz in der Realität zu sein: Die Schatten sind rot, die Perspektiven verzerrt, der Unterkörper des Mädchens passt so gar nicht zu dem oberen Teil und im Hintergrund hören wir die leblose Stimme der Mutter.
Doch erst als Kind und Kater, in einer deutlichen Anspielung an „Alice hinter den Spiegeln“ in einem solchen verschwinden, dreht der Abschnitt so richtig auf. Plötzlich begegnen sie einer U-Bahn voller Skelette, einem unsichtbaren Hund, seltsamen Schattenwesen und einem tanzenden Clown, der sie zu einem ganz besonderen Zirkus führt. Viel Handlung hat das alles nicht, Das Labyrinthos-Labyrinth lebt vollständig von seiner visuellen Kreativität und der durchweg surrealen Stimmung – ein Fest für alle Fans des Sonderbaren.
Im Vergleich dazu fällt der zweite Film Der fahrende Mann deutlich ab. Regie führte hier ebenfalls ein Madhouse-Mastermind: Yoshiaki Kawajiri, der unter anderem mit den kruden Streifen Wicked City und Ninja Scroll Kultstatus erreichte. Aber auch das stimmungsvolle Vampire Hunter D: Bloodlust geht auf das Konto des Japaners. Die Handlung seines Beitrages hier ist nicht wirklich komplexer als der Einstieg, dieses Mal verfolgen wir Zack Hugh, dem Champion des umstrittenen, oft tödlich endenden „Race Circus“ bei seinem letzten Rennen.
War Das Labyrinthos-Labyrinth bei aller Bedrohlichkeit noch verträumt und vergleichsweise harmlos, geht es hier dann richtig zur Sache. Gewalt ist hier ein völlig probates Mittel zum Sieg, Blut fließt eine Menge und der Tod fährt immer mit. Vor einer düsteren, futuristischen Kulisse angesetzt erzählt Der fahrende Mann eine im Prinzip sehr konventionelle Geschichte eines Mannes, dem alles recht ist, so lange er nur gewinnt. Doch trotz steigender Intensität und einer grotesken Wendung im späteren Verlauf, richtig interessant ist das nicht. Dafür passiert einfach zu wenig, die Optik ist kompetent, aber ohne ein richtiges Eigenleben, wenn man von der verzerrten Fratze des Protagonisten einmal absieht.
Dafür wird man beim letzten Beitrag von Animelegende Katsuhiro Ôtomo (Akira, Steamboy) wieder richtig verwöhnt. Als einzige der drei Geschichten hat Der Baustopp-Befehl diesen Namen auch wirklich verdient. Hauptfigur ist Tsutomu Sugioka, der die undankbare Aufgabe hat, ins fiktionale südamerikanische Land Aloana zu reisen, um dort das Bauprojekt Nr. 444 zu stoppen. Inmitten von Dschungel und Sumpf sollte dort ursprünglich ein Gebäudekomplex errichtet werden, was sich aber als finanzielle Sickergrube herausstellte. Sein offizielles Anliegen stößt dort jedoch auf taube Ohren, was letztendlich damit zu tun hat, dass dort mittlerweile Roboter das Sagen haben. Und die sehen ihren einzigen Lebensinhalt darin, das Projekt termingerecht abzuschließen – komme, was wolle.
Beim Abschluss von Manie Manie kommt das Dystopische eines George Orwell mit der Absurdität eines Franz Kafka zusammen. Doch das Ergebnis ist alles andere als düster, vielmehr wählt Ôtomo wie auch bei Roujin Z einige Jahre später einen humorvollen Ansatz, um vor der Technikverliebtheit seiner Landsmänner zu warnen; gerade der verzweifelte Kampf von Sugioka, überhaupt von dem Roboter wahrgenommen zu werden, ist mehr als 25 Jahre später genauso witzig wie Ende der 80er – und dabei heute natürlich kein Stück weniger aktuell. Die Charakterdesigns sind denen aus Akira recht ähnlich, die Gebäude detailreich und realistisch. Großartige Effekte gibt es hier nicht, der Unterhaltungswert soll hier anders als bei seinen beiden Kollegen in erster Linie durch die Geschichte erzeugt werden.
Sonderbar ist aber auch der dritte Teil, weshalb Manie Manie – Labyrinth-Geschichten in erster Linie Zuschauern zu empfehlen ist, die ein Faible für etwas andersartige Kurzfilme haben. Die beste Animeanthologie sind diese Verfilmungen nicht, da war beispielsweise Memories doch noch ein Stück besser. Zudem ist die Gesamtlänge mit rund 50 Minuten auch nicht gerade üppig. Zumindest Das Labyrinthos-Labyrinth und Der Baustopp-Befehl sind aber zweifelsfrei noch immer sehenswert, selbst wenn sie sonst nicht viel gemeinsam haben. Und wer sich für die Geschichte des Animes interessiert, für den ist die Sammlung aufgrund der beteiligten Personen ohnehin Pflichtprogramm.
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