(„Still“ directed by Matti Bauer, 2013)
Langzeitprojekte scheinen im Kino gerade stark im Trend zu sein: Nur zwei Wochen nach dem Start von Boyhood, wo Richard Linklater zwölf Jahre lang einem Jungen bis ins Erwachsenenalter folgte, kommt nun Matti Bauers Still ins Kino – und der wurde immerhin fast über zehn Jahre gedreht. Im Gegensatz zu seinem Hollywoodkollegen ist der deutsche Regisseur aber im Dokumentarfilm zu Hause und hat auch keine großen Namen zu bieten: die zunächst 30-jährige Uschi, deren Familie, ein paar Kühe, eine Ziege. Mehr gibt’s hier nicht.
Doch um das große Spektakel soll es bei Still auch gar nicht gehen, um aufregende Geschichten, die das Titelblatt der Zeitungen schmücken könnten. Vielmehr wendet sich Matti Bauer einem Berufszweig zu, der immer mehr aus unserem Bewusstsein verschwindet und dabei doch einen essenziellen Beitrag für das alltägliche Leben leistet: der des Bauern.
Spannend ist es daher zu beobachten, wie sich deren Leben im Lauf der zehn Jahre ändert, sie neue und immer größere Herausforderungen meistern müssen. Früher war es völlig normal, wenn das Nachbargrundstück von einen Bauern und seiner Familie, vielleicht auch einem zusätzlichen Knecht oder einer Magd bewirtschaftet wurde, erinnert sich Uschis Vater. Doch diese Kleinbetriebe verschwanden mit der Zeit. Heute brauchst du mehr: mehr Vieh, mehr Fläche, mehr Leute, mehr Maschinen. Und mehr Geld. Als einfache Milchbauen zu arbeiten, so wie es Uschis Familie die ganze Zeit getan hatte, das kann sich kaum einer mehr leisten. Weiter kommentiert wird das nicht, Still wird hier nicht zu einem plakativen Aufruf zu fairer Bezahlung. Dem Film genügt es, quasi beim Vorbeigehen den Zuschauer ein wenig zu sensibilisieren.
Doch nicht nur die wandelnden Bedingungen werden hier thematisiert, auch das Persönliche kommt nicht zu kurz. Zu Beginn des Films noch ein Freigeist, der von Traditionen, Zwängen, oder auch Ehe und Sesshaftigkeit nicht viel hält und lieber den Sommer als Sennerin in den Bergen anstatt auf dem heimischen Hof verbringt, kommt Uschi mit der Zeit immer mehr ins Schwanken, spürt am Ende doch noch eine Zugehörigkeit zum Familienbetrieb. Eine der schönsten Szenen ist, als sie zugibt, sich früher immer als Landwirtin bezeichnet zu haben, weil das schicker klang, inzwischen aber stolz darauf ist, eine Bäuerin zu sein.
Nachteil der extrem langen Drehzeit – zehn Jahre werden in 80 Minuten abgehandelt – sind die vielen zwangsläufigen Lücken. Da werden locker mal zwei bis drei Jahre in einem Einstellungswechsel übersprungen, ohne dass wir erfahren, was sich alles inzwischen getan hat. Einiges bleibt zudem bei Anspielungen, weil Uschi zwischenzeitlich immer wieder eine Auszeit vom Projekt forderte und nicht gefilmt werden wollte. Verständlich ist das sicher, ein rundes Porträt ist dadurch aber nur schwer möglich.
Aus diesem Grund musste Matti Bauer auch immer wieder eingreifen und die Rolle des Erzählers übernehmen – elegant ist das nicht, anfangs sogar irgendwo irritierend. Im Gegensatz dazu sind die Schwarzweißbilder sehr ästhetisch geworden. Ein bisschen gekünstelt sogar, was im Widerspruch zum intendierten Blick hinter die Kulissen steht. Aber so wie sich Uschi anfangs in der Stille der Berge verliert, taucht man auch als Zuschauer in die schönen Landschaften ein und erfährt ein bisschen von den Schicksalen hinter der Butter oder der Milch, die man morgens so selbstverständlich aus dem Kühlschrank nimmt.
Still läuft seit 19. Juni im Kino
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