(„Magic, Magic“ directed by Sebastián Silva, 2013)
Eine Seenlandschaft umgeben von Wäldern, so abgeschieden, dass es nicht einmal ein Handynetz gibt – gibt es einen idealeren Ort, um sich einmal so richtig auszuspannen und die Seele zu reinigen? Genau das haben Sara (Emily Browning) und ihre Cousine Alicia (Juno Temple) vor, als sie zusammen mit Saras Partner Augustín (Agustín Silva), dessen Schwester Barbara (Catalina Sandino Moreno) und dem gemeinsamen Freund Brink (Michael Cera) nach Chile fahren. In einem etwas abgelegenen Haus wollen sie ein paar schöne Tage verbringen.
Doch schon auf der Hinfahrt ziehen Wolken am Himmel auf, als Sara plötzlich umkehren muss. Ihre Beteuerungen bald nachzukommen spenden nur wenig Trost, Alicia ist mit dem Gedanken überfordert, allein mit den Fremden in die Wildnis zu fahren. Und je mehr Zeit sie dort verbringt, umso schlechter geht es ihr: Sie kann nicht mehr schlafen, fühlt sich zunehmend verfolgt, bis sie irgendwann nicht mehr weiß, was real ist, was eingebildet.
Ob die Filmgewohnheiten in Chile einfach anders sein? Oder liegt es vielleicht nur an Sebastián Silva? Nachdem der Regisseur und Drehbuchautor kürzlich mit Crystal Fairy – Hangover in Chile eine reichlich sonderbare Komödie drehte, folgt nun sein Ausflug ins Thriller-/Horrorgenre. Oder das, was Silva draus macht. Ein abgelegenes Haus, abgetrennt von der Zivilisation, das ist doch immer wieder ein gern gesehener Schauplatz für Slasher oder ähnlich blutig veranlagte Schockerbeiträge. Magic, Magic hält sich nicht an diese Erwartungen: Wenn hier Blut fließt, dann nur von Tieren. Und selbst das kommt nur selten vor.
Die restliche Zeit liegt der Fokus fast ausschließlich auf Alicia und ihrer stetig wachsenden Angststörung. Schon auf der Hinfahrt macht die junge Frau nicht gerade den stabilsten Eindruck, klammert sich schon sehr an die Präsenz ihrer Cousine. Doch erst als sie auf sich allein gestellt ist und von den anderen die eine oder andere spöttische Bemerkung fällt, wird das ganze Ausmaß ihrer psychischen Probleme deutlich. Erst verliert sie den Bezug zur Realität – sieht immer wieder Sachen, die nicht da sind – später dann sogar den Verstand. Da liegen natürlich Vergleiche zu Roman Polanskis Ekel auf der Hand. Und auch wenn der Klassiker da doch noch eine Spur packender war, lässt einen sein chilenischer Nachfahre nicht los.
Die große Kunst von Silva ist dabei der Minimalismus: Ohne wirklich etwas zu zeigen, ohne viel Handlung, ohne auch nur einen einzigen Schockmoment erzeugt der Regisseur eine verstörende Stimmung mit steigender Intensität. Dafür braucht er nicht viel mehr als unheilvolle Musik und natürlich die Unterstützung seiner Darsteller. Und da zeigte er ein mehr als glückliches Händchen. Juno Temple, die einem größeren Publikum vor allem durch ihre Nebenrollen in den Blockbustern The Dark Knight Rises und Maleficent aufgefallen ist, zeigt in dem Independentstreifen, dass sie durchaus für Figuren am Abgrund geeignet ist. Und auch einen Schritt weiter.
Dem gegenüber steht Michael Cera, der seine Kampagne gegen das eigene Nice-Guy-Image hier erfolgreich fortsetzt. Nett? So würde man Brink wohl kaum bezeichnen, dafür findet er ein zu großes Vergnügen am geistigen Verfall von Alicia und schüttet sogar kräftig Öl ins Feuer. Gerade weil dessen sadistischen Neigungen in einem so starken Gegensatz zum Schwiegersohnäußeren des Schauspielers stehen, darf man als Zuschauer unruhig auf dem Sofa hin und her rutschen. Dass der Amerikaner auch noch sichtlich Spaß an dieser Rolle hat und geradezu mit ihr verschmilzt tut ihr übriges.
Wem die Paarung von Cera und Regisseur Sebastián Silva bekannt vorkommt, hat gut aufgepasst: Beide arbeiteten bei Crystal Fairy zusammen. Und auch Silvas Bruder und Stammspieler Augustín ist wieder mit dabei. Tatsächlich war die Komödie eine Art Nebenprodukt von Magic, Magic, ein Filmprojekt, mit dem sie sich die Zeit vertreiben konnten. Und die Umsetzung ist bei allen Genreunterschieden recht ähnlich: Die Figuren stehen völlig im Vordergrund sowie ihr Verhältnis zueinander. Die Handlung hingegen, die ist mehr Mittel zum Zweck.
Damit hat der Thriller auch das gleiche Problem wie Silvas Vorgängerfilm. Überzeugende schauspielerische Leistungen, interessante Figuren und eine gute Atmosphäre stehen einer gewissen Ereignislosigkeit gegenüber. Und damit natürlich auch dem Risiko der Langeweile. Auch an dem Ende werden sich die Geister scheiden, das mit seiner alptraumhaften Atmosphäre noch lange nachhallt, aber ohne Aussage bleibt, ohne Auflösung und damit für manchen sicher sehr frustrierend sein. Die Massen wird Silva so eher nicht erreichen. Und doch ist sein feiner, kleiner Thriller ein weiterer Beweis dafür, dass da ein eigenwilliger, spannender Regisseur auf seine Entdeckung wartet.
Magic, Magic ist seit 26. Juni auf DVD und Blu-ray erhältlich
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