(„Dwae-ji-ui wang“ directed by Sang-ho Yeon, 2011)
Na bitte, geht doch: Da beschwert man sich, dass es keine Anime mehr auf die große Leinwand schaffen, und dann kommen auf einmal mit The King of Pigs und Wie der Wind sich hebt gleich zwei am selben Tag ins Kino. Während wir Hayao Miyazakis Abschiedsfilm zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen werden, nehmen wir Ersteren zum Anlass, in Teil 10 unseres fortlaufenden Animationsspecials nach Südkorea zu reisen – und dort wird es richtig hässlich.
Eine Frau liegt erwürgt auf dem Tisch, an allen Möbeln hängen Zettel, ein Mann steht weinend unter der Dusche: Schon der wortlose Beginn zeigt, dass hier keine Gefangenen gemacht werden. Doch richtig hart wird es erst, als dieser Mann mit einem alten Schulfreund über die gemeinsamen Erfahrungen ihrer Kindheit spricht, wir nach und nach in Flashbacks und Gesprächen erfahren, wie er zu dem heutigen Menschen wurde. Und dieser Weg führt über grausame Oberschüler, die selbsternannten „Hunde“, die ohne Skrupel das Leben der jüngeren, meist wehrlosen „Schweine“ zur Hölle machen.
Kyung-min ist eines dieser Schweine. An Geld mangelt es in seiner Familie nicht, führt sein Vater doch einen gut laufenden Karaokeladen. Mut und Kraft? Da sieht es schon schlechter aus, weshalb der kleine Junge mit der Brille ständig schikaniert wird. Seinem besten Freund Jong-suk geht es nicht besser, denn der stammt aus schwierigen und sehr ärmlichen Verhältnissen. Erst als Chul an ihre Schule versetzt wird und sich nicht von den Hunden einschüchtern lässt, sammeln die Unterdrückten wieder Lebensmut. Doch so einfach lassen sich die Alphatiere ihre mühsam aufgebaute Hierarchie nicht kaputt machen; immer gewalttätiger werden die Auseinandersetzungen zwischen den Herrschern der Schule und dem König der Schweine, bis es dann zur Katastrophe kommt.
Dass sich die Südkoreaner auf schwer verdauliche Gesellschaftskritik verstehen, durften in den letzten Jahren Regisseure wie Bong Joon-ho (Mother) und Kim Ki-duk (Pieta) eindrucksvoll unter Beweis stellen. Dem steht ihr Kollege Sang-ho Yeon in nichts nach, obwohl der für sein Spielfilmdebüt auf reale Schauspieler verzichtete und stattdessen auf eine Mischung aus handgezeichneten und computergenerierten Bildern vertraute. An der Effektivität hat der Rückzug in eine Trickwelt nichts geändert, auch nach dem heftigen Einstieg wird immer wieder der Fluss des Films von verstörenden Szenen unterbrochen, die sich einem tief ins Gedächtnis brennen.
Beispielsweise „verarbeiten“ die Jungs ihren Alltag in Halluzinationen, unter denen sie regelmäßig leiden und die den Film dabei ins Alptraumhafte gleiten lassen. An dieser Stelle verzeiht man Yeon auch den häufigen Einsatz von Computern, da gerade in diesen Szenen die künstlichen Effekte die Wirkung verstärken. An anderer Stelle ist die Optik weniger gelungen: Gerade die holprigen Animationen und die Bewegungen der Hintergründe können das geringe Budget von The King of Pigs nicht verbergen, an vielen Stellen wären mehr Details doch schön gewesen. Doch schön will das koreanische Drama ohnehin nicht sein, denn die Charakterdesigns schaffen es ähnlich wie bei Tekkonkinkreet gleichzeitig bemerkenswert realistisch und doch irgendwo auch grotesk-verzerrt zu sein.
Etwas zwiespältig ist auch das Fazit zum Inhalt. So sehr The King of Pigs auch erschüttert, zwischendrin verkommt der koreanische Film zu einer bloßen Aneinanderreihung immer neuer grausamer Szenen, ohne erzählerisch etwas hinzuzufügen. Doch trotz dieser Schönheitsmakel ist der Beitrag vom Fantasy Filmfest 2012 eine ernsthafte und sehenswerte Auseinandersetzung mit dem oft unterschätzten Thema Mobbing unter Schülern. Dabei stellt das Drama die Gewalt und die Grausamkeiten nicht als gesondertes Phänomen dar, sondern stellt es in einen direkten, beidseitigen Zusammenhang mit der Welt der Erwachsenen, mit dem Erfolgsdruck der Gesellschaft und der auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich. Oft tauchen die Erwachsenen in The King of Pigs zwar nicht auf, doch wenn sie das tun und Yeon einen kurzen Blick in die Abgründe ihrer Seelen wirft, wird klar, dass so manche Wunde in der südkoreanischen Gesellschaft tiefer sitzt, als es einem die Hochglanzbilder der Hightech-Nation weismachen wollen.
The King of Pigs läuft ab 17. Juli im Kino
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