(„Diplomatie“ directed by Volker Schlöndorff, 2014)
Im Sommer 1944 ist der Ausgang des Zweiten Weltkriegs praktisch schon entschieden: Die Alliierten sind in der Normandie gelandet und drängen vom Westen aus in Richtung Deutschland, im Osten rücken die russischen Truppen immer näher. Doch die deutsche Führung will von all dem nichts wissen, Kapitulation kommt nicht in Frage. Dietrich von Choltitz (Niels Arestrup) hat die undankbare Aufgabe, Paris bis zum letzten Moment zu verteidigen. Und sollte die Stadt nicht zu halten sein – wonach es aussieht – lautet der Befehl Zerstörung: Eine Reihe von Explosionen soll nicht nur den Gegner aufhalten, sondern auch Louvre, Oper, Notre-Dame und viele andere Orte dem Erdboden gleichmachen. Dem will der schwedische Konsul Raoul Nordling (André Dussollier) nicht tatenlos zusehen, Worte statt Gewalt sollen von Choltitz zum Einlenken bewegen.
Auch wenn man es kaum noch glauben wollte, es gibt sie noch, die unerzählten Geschichten des Zweiten Weltkrieges. Zumindest deutsche Zuschauer dürfte das Schicksal des „Retters von Paris“ kaum geläufig gewesen sein. Diplomatie ist damit gleichzeitig eine kleine Geschichtsstunde, auch wenn sie es mit den Einzelheiten nicht so genau nimmt. Tatsächlich hat das finale, entscheidende Gespräch in der Form nie stattgefunden, der deutsch-französische Film interessiert sich also weniger für das, was war, sondern das was hätte sein können. Und das ist bei aller Hypothese richtig interessant.
Dabei passiert in Diplomatie gar nicht mal so wahnsinnig viel. Nur selten bewegen wir uns aus dem Hotel Meurice, in dem von Choltitz sein Hauptquartier errichtete. Und wenn doch, wenn wir zum Beispiel kleine bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Widerstandstruppen zu sehen bekommen, wäre das eigentlich nicht notwendig gewesen, auf die eigentliche Handlung hat dies keinen Einfluss. Denn diese Handlung besteht in erster Linie aus Gesprächen, ein fortlaufender Dialog, in dem wir immer tiefer in die Psyche der beiden Männer eintauchen und über ihre jeweiligen Hintergründe erfahren. Dass das kammerspielartige Drama seine Quellen im Theater hat – es basiert auf dem gleichnamigen Stück von Cyril Gély – kann Diplomatie nie ganz leugnen.
Doch das muss es auch nicht, denn zusammen mit Gély, der hier am Drehbuch mitwirkte, ist Volker Schlöndorff (Die Blechtrommel, Homo Faber) ein packender Film darüber geglückt, wie einzelne Personen den Lauf des Schicksals beeinflussen können. Aber natürlich auch darüber, was es heißt, einem Land zu dienen. Wann wird die Grenze von Loyalität zu blindem Gehorsam überschritten? Rechtfertig persönliches Leid das Unglück anderer? Und umgekehrt? Anders als man hätte erwarten können, wird Dietrich von Choltitz weder als politischer Fanatiker noch als grausames Monster dargestellt, sondern als ein Mann, der zwischen seiner Vorstellung von Ehre und einem moralischen Dilemma hin und hergerissen ist.
Da zudem die Ausstattung hübsch anzusehen ist und auch die Leistungen der beiden Hauptdarsteller passen, ist Diplomatie richtig sehenswert geworden. Ob man dafür wirklich die große Leinwand gebraucht hätte oder ob es ein Fernsehabend nicht genauso tun würde, sei einmal dahingestellt. Liebhaber figurbezogener, existenzialistischer Dramen werden an einem wie dem anderen Ort knapp anderthalb Stunden fesselndes Material und reichlich Gesprächsstoff finden.
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