L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr

(„L’auberge espagnole“ directed by Cédric Klapisch, 2002)

L’Auberge Espagnole – Barcelona für ein JahrSprachkenntnisse sind nie verkehrt, wenn man richtig Karriere machen will. Doch leider sieht es da bei dem Wirtschaftsstudenten Xavier (Romain Duris) ein wenig mau aus. Vor allem sein Spanisch könnte etwas Nachhilfe gebrauchen, schließlich winkt ihm ein lukrativer Job, wo er für die spanische Wirtschaft zuständig wäre. Und so entscheidet er sich – sehr zum Missfallen seiner Freundin Martine (Audrey Tautou) – ein Jahr nach Barcelona zu gehen. Ein wenig Starthilfe erhält er dort von einem französischen Pärchen, das er im Flugzeug kennenlernt. Sein wirkliches Leben im Ausland jedoch, das beginnt erst, als der Franzose in eine WG zieht und plötzlich mit einem halben Dutzend verschiedener Nationalitäten die Wohnung teilen muss.

Knapp drei Millionen Zuschauer in Frankreich, weitere zwei im europäischen Ausland – L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr ist eine der wenigen französischen Komödien, die außerhalb der Grande Nation einen fast ebenso großen Erfolg wie daheim feiern durften. Ein großes Wunder war das nicht: Die Geschichte um den Austauschstudenten, der im Ausland allerlei chaotische Erfahrungen sammelt und am Ende als ein anderer Mensch wiederkommt, die kann jeder nachvollziehen, der selbst einmal das Abenteuer Auslandsaufenthalt gewagt hat. Ob es die willkürlichen Bestimmungen von Erasmus sind, die Schwierigkeiten einer Wohnungssuche und natürlich die gewaltsame Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur, die immer wieder in absurden Situationen gipfelt – das kann jeder Austauschstudent nachvollziehen, sei er Deutscher oder Franzose, Südeuropäer oder Skandinavier.L’Auberge Espagnole – Barcelona für ein Jahr Szene 1

Dass sich hier jeder wiederfindet, liegt aber auch an einem Kunstgriff von Cédric Klapisch: Anders als bei anderen Culture-Clash-Komödien lässt er hier nicht nur zwei Kulturen, sondern gleich sieben aufeinanderprallen. Und dabei schreckte der Regisseur und Drehbuchautor nicht vor Stereotypen zurück. Im Gegenteil, hier ist kein Land vor Klischees gefeit: Der Franzose Xavier verstrickt sich in amourösen Abenteuern, die Engländerin Wendy (Kelly Reilly) ist verklemmt, ihr Bruder William (Kevin Bishop) ein Prolet mit Hang zum Vollsuff. Wenn dann auch noch der ordnungsfanatische Deutsche Tobias (Barnaby Metschurat) mit seinem chaotischen Zimmergenossen Allesandro (Federico D’Anna) aus Italien aufreibt und die impulsive Spanierin Soledad (Cristina Brondo) ausgerechnet mit dem phlegmatischen Dänen Lars (Christian Pagh) ein Paar bildet, ist das nur wenig differenziert. Dafür aber umso lustiger.

Wenn so viele Staatsangehörigkeiten aufeinandertreffen, darf die Frage nach nationaler Identität natürlich nicht fehlen. Sonderlich in die Tiefe geht Klapisch zwar nicht, zeigt aber sehr schön anhand der Sprachproblematik Spanisch Vs. Katalanisch, dass die Grenzen im Kopf gar nicht so eindeutig sind und auch mit jeder eigenen Erfahrung fleißig verschoben werden. Vor allem zum Ende hin rückt auch das Thema eigene Entwicklung mehr in den Vordergrund, der Culture-Clash-Grundstock wird so mit Coming-of-Age-Elementen erweitert. Das klappt überraschend gut, wobei L’auberge espagnole zeitweise ein bisschen zu viel sein will und dabei seine authentische Stimmung aufgibt. Oder wie Xavier treffend feststellt: „Das ist wie eine Soap Opera hier.“L’Auberge Espagnole – Barcelona für ein Jahr Szene 2

Aber auch wenn die Komödie zum Ende hin ein paar Durchhänger hat, ihren Kultstatus hat sie redlich verdient. Zu lachen gibt es hier eine Menge, auch dank einiger inszenatorischer Spielereien wie Zeitraffer oder Splitscreens. Vor allem aber hatte Klapisch ein glückliches Händchen bei der Besetzung. Abgesehen von Audrey Tautou, die damals bereits durch Die fabelhafte Welt der Amélie einem großen Publikum bekannt war, setzte er vor allem auf frische Gesichter. Und das wurde belohnt: Bei allen Klischees wuchsen einem die sieben Mitbewohner doch schnell ans Herz und machten einen großen Teil des Charmes von L’Auberge Espagnole aus. Umso schöner, dass wir einige von ihnen danach noch wiedersehen durften, 2005 in L’auberge espagnole – Wiedersehen in St. Petersburg und dieses Frühjahr in Beziehungsweise New York. Ein Tipp noch: unbedingt im Original mit Untertiteln anschauen, dann kommt das Sprachenwirrwarr der WG am besten zum Ausdruck.



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Eine Wohnung, sieben Bewohner und viel, viel Chaos: L’Auberge Espagnole erlangte mit seiner treffenden Darstellung des Abenteuers Auslandsaufenthalt nicht nur bei Studenten Kultstatus. An manchen Stellen verzettelt sich die Mischung aus Culture-Clash-Komödie und Coming-of-Age-Geschichte zwar ein wenig, doch das macht der Film mit einem wunderbaren Ensemble und viel Charme mehr als wett.
7
von 10