(„Tamala 2010 – A Punk Cat in Space“ directed by t.o.L., 2003)
Und wir bleiben beim Thema: Nachdem wir letzte Woche mitansehen durften, wie in Die Shadoks und die Gibis reisen zur Erde ein Volk minderbemittelter Vögel unseren Planeten ansteuert, geht es dieses Mal in die andere Richtung. Denn in Teil 16 unseres fortlaufenden Animationsspecials folgen wir einer Katze, die von der Erde nach Orion will. Und das ist nicht das einzig Verquere an Tamala 2010 – A Punk Cat in Space.
Katzen und Comics, das war nicht erst seit „Garfield“ oder „Calvin & Hobbes“ eine beliebte Kombination. Und das gilt dann natürlich auch für die bewegten Bilder: Ob die Zeichentrickurgesteine Tom (aus Tom & Jerry) oder Sylvester (aus Sylvester & Tweetie), der Katzenkrimi Felidae, der Disneyklassiker Aristocats oder die leider immer noch nicht auf Deutsch erschienenen Kritikerlieblinge Die Katze des Rabbiners und A Cat in Paris – die vierbeinigen Fellknäuels haben es sich im Animationsbereich doch sichtlich gemütlich gemacht. Doch wenn bei Tamala 2010 Vergleiche herangezogen werden müssen, dann taugen Fritz the Cat und Felix the Cat noch am ehesten.
Ebenso wie Ralph Bakshis Debüt ist auch die japanische Verwandte eher weniger für kindliche Augen geeignet. Sex spielt in dem Anime zwar keine große Rolle – auch wenn einige der Tiere offensichtlich eine Schwäche für Leder und SM pflegen – Gewalt mitunter schon. Manchmal sehen wir sie direkt, bei den brutalen Auseinandersetzungen zwischen den Hunden und Katzen auf Planet Q beispielsweise. Doch am verstörendsten ist Tamala 2010 bei einer Szene zu Beginn, wo wir Aufzeichnungen eines lange zurückliegenden, im wahrsten Sinne bestialischen Massakers zu Gesicht bekommen.
Mit Felix the Cat wiederum hat der Animationsfilm zwei Eigenschaften gemeinsam: 1. Die Charakterdesigns im Stil von anno dazumal 2. Der Hang zum Bizarren. Könnte man anfangs noch meinen, Tamala 2010 sei eine typische Samstagmorgen-Abenteuergeschichte, kommen immer seltsamere Elemente hinzu. Eine Zombiekatze warnt vor den Machenschaften eines Kults, eine größere Postverschwörung ist im Gange, ein Katzenunternehmen hat ein Monopol auf praktisch alles, die menschliche Schlangenkatzenmutti will Tamala ganz für sich, der Rockerhundpolizist hält eine kleine Maus in seinem Vogelkäfig. Handlungsfetischisten werden an den zusammenhangslosen Episoden verzweifeln, und selbst äußerst eloquente Zeitgenossen dürften Schwierigkeiten haben, im Anschluss zu beschreiben, was sie in den vergangenen rund 90 Minuten eigentlich gesehen haben.
Dabei ist die Optik sogar sehr überschaubar, fast schon primitiv. Nicht nur bei den Figuren, auch bei den Hintergründen müssen wir ohne Details auskommen, manchmal gibt es nicht einmal Hintergründe. Oder Farben. Nur in wenigen Szenen oder wichtigen Elementen wird coloriert, ansonsten ist Tamalas Welt durchgängig Schwarz-Weiß. Dass sie komplett im Computer entstanden ist, fällt daher oft nicht weiter auf. Bis auf eine Ausnahme: Wann immer das einjährige Kätzchen in den Schlaf sinkt und träumt, sehen wir eine düstere, futuristische 3D-Render-Stadt. An der Stelle zeigt sich nicht nur das Alter des Films – Tamala 2010 stammt von 2003, entsprechend veraltet sind die Grafiken – sondern auch die Hintergrundgeschichte.
Hier wurde kein Manga verfilmt und keines der großen japanischen Animationsstudios hat seine Finger im Spiel. Stattdessen geht nahezu alles auf das Künstlerduo t.o.L. (kurz für trees of Life) zurück. Das schrieb nicht nur das Drehbuch und führte Regie, auch die Musik – mal elektronisch-sphärisch verstimmt, dann wieder nur lustiger Soundeffekt – stammte von den beiden. Daher wundert es auch nicht weiter, dass Tamala 2010 eher filmisches Versuch ist, weniger ein tatsächlicher Film. So als hätte jemand einen anderthalb Stunden langen Musikclip gedreht, dabei jedoch meistens die Musik vergessen. Lohnend ist der Ausflug des Kätzchens deshalb vor allem für experimentierfreudige Zuschauer, denn sie erwartet ein verwirrender Trip ohne Regeln, Grenzen oder Inhalt. Wer jedoch einen „normalen“ Anime sucht, der sollte lieber beim Regal einen Schritt weiter gehen, denn hier wird er keinen finden.
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