(„Borgman“ directed by Alex Van Warmerdam, 2013)
Was tun, wenn plötzlich ein Landstreicher vor deiner Tür steht, behauptet, deine Frau zu kennen und in deinem Hauss ein Bad nehmen will? Für Richard (Jeroen Perceval) liegt die Antwort auf bzw. in der Hand: Man gibt dem Eindringling kräftig eins auf die Nase. Richards Frau Marina (Hadewych Minis) zeigt sich jedoch wenig begeistert angesichts der galanten Brutalität ihres Gatten und beschließt, sich heimlich um den malträtierten Camiel Borgman (Jan Bijvoet) zu kümmern. Fasziniert von dem verwahrlosten Fremden nimmt sie deshalb auch so einiges in Kauf, um ihm nahe zu sein – und das schließt das vorzeitige Ableben mehrerer Menschen aus ihrem Umfeld ausdrücklich mit ein.
Ein mysteriöser Fremder, eine heimliche Affäre, diverse Mordfälle – der Genredetektor zeigt da recht eindeutig in Richtung Thriller. Und wer will, darf Borgman auch in dieser Schublade einsortieren, muss sich aber darauf gefasst machen, dass der Streifen da nicht so richtig reinpassen will. Oder dass hier allgemein viel Wert auf Konventionen oder Erwartungshaltungen gelegt wird.
Wer sind Borgman und seine beiden Kumpanen eigentlich? Warum verbergen sich die drei am Anfang des Films in Erdlöchern? Was ist der Plan, von dem sie immer wieder reden? In welcher Beziehung stehen sie zu den beiden Frauen, die immer wieder auftauchen? Die Antworten darauf, die müssen die Zuschauer schon selbst suchen, der Film gibt sie zumindest nicht. Kinogängern, denen es auf Nachvollziehbarkeit ankommt, sowohl was Plot als auch Figuren angeht, die sollten einen großen Bogen um den niederländischen Thriller machen. Erklärt wird hier nur wenig, warum sich die Protagonisten verhalten, wie sie es tun, das bleibt ein Rätsel. Oft wird hier ohne Kontext oder Vorwarnung agiert, selbst die Kinder des Ehepaares machen, was sie wollen. Und das ist in seiner Konsequenz teilweise richtiggehend furchteinflößend.
Was normalerweise ein dickes Minus beim Geschichtenerzählen ist – fehlende Plausibilität – ist im Falle von Borgman jedoch kein Versäumnis, sondern Absicht. Boshafte Absicht sogar. Während der Beginn noch vergleichsweise konventionell ist, wird der neueste Film von Regisseur Alex Van Warmerdam zunehmend seltsamer und surrealer. Die Welt ist noch da, prinzipiell, in die Fantastik tauchen wir also nie ein. Aber alles ist anders, verschoben, ein wenig verfremdet. Wenn Marina zwischendurch einen Hund fragt, ob er Camiel ist, dann zeigt das, wie sehr sich hier die bekannten Grenzen verschoben haben.
Wer nun an David Lynch denkt, liegt nicht ganz falsch, ähnlich düster wie dort wird es hier jedoch nicht. Das Gefühl von Bedrohung will sich hier nie so richtig einstellen, und damit auch keine Spannung. Dann schon eher Neugierde, welche verrückten Einfälle sich Van Warmerdam als nächstes einfallen lässt. Wenn Vergleiche anstehen, dann auch eher mit Quentin Dupieux oder Richard Bates Jr., die ebenfalls in ihren Filmen den Alltag und das bürgerliche Leben demontieren und dabei den Blick auf den Alptraum dahinter freilegen – was oft komisch und erschreckend zugleich ist.
Das könnte man nun als Thriller bezeichnen, wenn man will, oder auch als Drama oder Satire. Man kann das aber auch bleiben lassen, sich zurücklehnen und ein bisschen dem Wahnsinn hingeben. Viele Fans wird der niederländische Genremix sicher nicht finden, dafür ist die Verweigerung herkömmlicher Filmtugenden dann doch zu frustrierend, insgesamt Borgman auch zu lang. Wer auf der Suche nach einem neuen Kinofilm ist, der anders ist, der hat hier jedoch einen würdigen Anwärter gefunden.
Borgman läuft ab 2. Oktober im Kino
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