(„Momo e no tagami“ directed by Hiroyuki Okiura, 2011)
Und wir bleiben beim Gefühlvollen: Nachdem wir uns letzte Woche beim wunderbar altmodischen Toys in the Attic das Herz gewärmt haben, fangen wir in Teil 18 unseres fortlaufenden Animationsspecials mit einem gebrochenen an. Aber auch mit der Erkenntnis, dass es manchmal lohnt, jahrelang auf jemanden zu warten.
„Liebe Momo“, mehr ist dem 11-jährigen Mädchen nicht geblieben. Ein Brief, den Momos Vater ihr kurz vor seinem Tod noch schreiben wollte, über die Anrede aber nicht hinauskam. Viel ist es nicht, aber der größte Schatz, den sie hat. Etwas, an dem sie sich festhalten kann in ihrer neuen Heimat, der kleinen Insel Shio. Ihre Mutter war es, die alle Zelte in Tokio abbrechen wollte, um hier ein neues Leben anzufangen. Momo selbst ist darüber nur wenig begeistert: Sie kennt niemanden, auf der Insel ist nichts los und ihre Mutter ist den ganzen Tag außer Haus. Doch Aufregung naht in Form der drei Kobolde Kawa, Mame und Iwa, die ein Talent dafür haben, alles auf den Kopf zu stellen – umso mehr, da Momo die einzige ist, die sie sehen kann.
Wer schon etwas länger Anime schaut, könnte eventuell beim Namen des Regisseurs stutzig werden. Hiroyuki Okiura, war das nicht …? Genau, vor mehr als zehn Jahren inszenierte er den Neoklassiker Jin-Roh, der seit einigen Monaten endlich wieder regulär erhältlich ist. Seither hatte er sich auf seine Animationstalente beschränkt, zum Beispiel bei Paprika, Regie führte er jedoch danach lange nicht mehr. Natürlich hat sich seither viel im Animeumfeld getan, was gerade im Vergleich der beiden Filme auffällt. War Okiuras erster großer Film noch weitestgehend Zeichentrick, hat hier an vielen Stellen der Computer Einzug erhalten. Immerhin hielt man sich mit übertriebenen Effekten zurück, meistens fügen sich die handgezeichneten, aquarellartigen Hintergründe und die rechnergestützten Objekte und Animationen gut zusammen. Schön anzusehen sind sie beide, auch die zweite Zusammenarbeit mit dem Animationsstudio Production I.G (Eden of the East, Ghost in the Shell) überzeugt durch realistische Charakterdesigns und schöne Lichteffekte.
Der entscheidende Unterschied zwischen seinen beiden Langfilmen betrifft ohnehin den Inhalt. Jin-Roh, das auf einem Manga von Mamoru Oshii basierte, war halb dystopischer Thriller, halb psychologisches Drama. Letzteres teilt Ein Brief an Momo, an dessen Geschichte Okiura sieben Jahre selbst geschrieben hat, mit dem „Vorgänger“. Doch auch wenn die Ausgangslage traurig ist und einige Szenen herzzerreißend sind, ist die Grundstimmung doch oft auch heiter. Das liegt zum einen an den lichtdurchflutenden Landschaftsaufnahmen, die sehr schön die Atmosphäre des ländlichen Japans im Sommer einfangen.
Aber auch die drei ungebetenen Gäste sorgen immer wieder für Auflockerung. Laut eigener Angabe einst mächtige Götter, die Menschen mit Haut und Haar verschlucken konnten, sind sie heute nicht viel mehr als tollpatschige, einfach gestrickte Minimutanten. Deren Slapstickeinlagen verhindern, dass Ein Brief an Momo seiner Tristesse erliegt, sind aber auch ein bisschen zu albern gehalten, so wie der Humor insgesamt eher kindlich ist. Für Erwachsene ist daher vor allem die Kombination interessant: Hier treffen Coming of Age, Familiendrama, Fantasy und Comedy aufeinander. In die Tiefe geht zwangsweise keines der Elemente, bei derart vielen Genrezutaten reichen selbst zwei Stunden nicht aus. Aber die Mischung stimmt, hier wird einmal in jedem Gefühlssegment vorbeigeschaut, der Wohlfühlfaktor darf nicht fehlen, trotz der Länge wird es nie langweilig.
Der Vergleich zu atmosphärisch ähnlich gelagerten Filmen aus dem Hause Ghibli liegt auf der Hand, auch wenn es qualitativ da doch noch ein Stück fehlt. Gerade bei den vielen mythologischen Wesen war Chihiros Reise ins Zauberland doch deutlich abwechslungsreicher und fantasievoller. Wem dieser gefallen hat, sollte aber auch dem rührenden Ein Brief an Momo einmal eine Chance geben. Eine willkommene Rückkehr von Okiura ist die Genremischung allemal. Bleibt nur zu hoffen, dass uns der Regisseur nicht wieder über zehn Jahre warten lässt, bevor er sich mit einem neuen Film zurückmeldet.
Ein Brief an Momo ist seit 5. September auf DVD und Blu-ray erhältlich
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