(„Genius Party“ directed by various, 2007)
Wer sich letzte Woche nicht von unserem Appell überzeugen ließ, dass ein einzelner Kurzfilm sehr wohl den Kauf einer DVD rechtfertigen kann, der bekommt diese Woche mehr Inhalt fürs Geld geboten: In Teil 20 des fortlaufenden Animationsspecials präsentieren wir eine Anthologie, die gleich sieben kleine Werke in sich vereint.
Einige der Regisseure werden deutsche Animefans bereits kennen. Shinichiro Watanabe (Baby Blue) war für die beiden Kultserien Cowboy Bebop und Samurai Champloo verantwortlich. Auch Masaaki Yuasa (Happy Machine) hat es mit zwei Werken in die heimischen Regale geschafft: Mind Game und Tatami Galaxy. Shôji Kawamori (Shanghai Dragon) machte sich als Schöpfer von The Vision of Escaflowne und Super Dimension Fortress Macross einen Namen, führte aber auch selbst mehrfach Regie, unter anderem bei der Serie Arjuna und der Kenji-Miyazawa-Hommage Spring and Chaos. Die anderen vier hingegen – Atsuko Fukushima (Genius Party), Shinji Kimura (Deathtic 4), Yoji Fukuyama (Doorbell) und Hideki Futamura (Limit Cycle) – arbeiteten vorher eher in der zweiten Reihe.
Was nun führte aber diese sieben mal mehr, mal weniger erfahrenen Animationskünstler zusammen? Während andere Anthologien oft gemeinsame Ausgangsmaterialien haben (Memories, Manie Manie) oder einen thematischen Überbau (Allegro non troppo, Animatrix), fehlt hier beides. Einzige Vorgabe war, doch der eigenen Kreativität mal so richtig freien Lauf zu lassen. Und das taten sie. Das ist auf der einen Seite wundervoll, denn mit dem notorisch experimentierfreudigen Animationsstudio Studio 4°C (Tekkonkinkreet, First Squad) entstanden so eine Reihe visuell einzigartiger Kurzfilme. Nachteil: Durch die fehlende Gemeinsamkeit entsteht auch irgendwo der Eindruck von Beliebigkeit.
Das hängt auch damit zusammen, dass bei aller optischen Spielerei bei den meisten die eigentliche Geschichte zu kurz kam. Baby Blue ist der Beitrag, dem man noch am ehesten eine klassische Handlung unterstellen könnte: Der erstaunlich melancholische Abschlussfilm erzählt von zwei Jugendlichen, die zusammen die Schule schwänzen, um ein letztes Mal Zeit miteinander zu verbringen. Doorbell ist ebenfalls interessant, aber schon deutlich abgehobener: Wir folgen einem jungen Mann, dessen Leben von einem Doppelgänger vereinnahmt wird. Optisch konventionell, sind diese beiden Geschichten der Ruhepol zu den oft verrückten Einfällen der Kollegen. Inhaltlich eher langweilig ist hingegen Shanghai Dragon, wo ein kleiner Junge mit Hilfe eines „magischen Stiftes“ eine Invasion verhindern muss. Immerhin sind die vom Jungen zum Leben erweckten Zeichnungen in einem ganz anderen Stil, wodurch es zu netten Kontrasten kommt.
Die anderen vier nutzten die Gelegenheit von Genius Party vor allem, um sich auf der Bilderseite so richtig auszutoben – mit unterschiedlichem Ergebnis. Großartig ist vor allem Happy Machine, ein Kurzfilm über ein Baby, das auf der Suche nach seiner Mutter einem Feuerwesen und vielen eigenartigen Kreaturen begegnet, und auch sonst hielt man es hier nicht so mit den Gesetzmäßigkeiten der uns bekannten Welt. Dass Yuasa bei der Frage nach Einflüssen auf seine Arbeit als Animationskünstler unter anderem Der phantastische Planet nannte, wird wohl nirgends so deutlich wie hier. Im direkten Vergleich kann es die Titelgeschichte Genius Party damit nicht aufnehmen, obwohl auch der ebenfalls deutlich surreal gefärbte Kurzfilm dank der seltsamen Wesen seine Momente hat.
Deathtic 4 wiederum dürfte die Liebhaber der morbiden Animationsfilme von Tim Burton (Nightmare Before Christmas, Corpse Bride) ansprechen. Auch wenn die CGI-Optik manchmal etwas grob ist, erzeugt das Abenteuer einer Gruppe von Monsterkindern eine wohlig-düstere Atmosphäre. Limit Cycle ist der vielleicht faszinierendste, gleichzeitig aber auch langatmigste der sieben Geniestreiche. Ähnlich wie im Science-Fiction-Klassiker Serial Experiments Lain stehen hier philosophische Überlegungen im Mittelpunkt, die in ein sehr technisches Drumherum verpackt werden. Da treffen Animation auf verzerrte Realbilder, eine Offstimme spricht zu abstrakten Klängen über Gott. Ist man anfangs noch gefesselt von der willkürlichen Kombination von Bild, Sprache und Musik, ermüdete Futamura den Zuschauer aber auf Dauer mit dem Endlosbeschuss – kürzer wäre hier besser gewesen.
Dennoch werden experimentierfreudige ihre helle Freude daran haben, so wie Genius Party allgemein eher die Liebhaber des Ungewöhnlichen anspricht. Nicht alles davon ist geglückt, doch die vielen verschiedenen kombinierten Techniken und Stile sind eine willkommene Unregelmäßigkeit im Meer der optisch zunehmend stromlinienförmigen Animationsfilme. Fünf weitere Beispiele, die für dieses Projekt entstanden, wurden übrigens in einer zweiten Anthologie namens Genius Party Beyond gesammelt, die wir euch zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal gesondert vorstellen werden.
(Anzeige)