(„Kirikou et la Sorcière“ directed by Michel Ocelot, 1998)
Nachdem wir uns in den letzten beiden Wochen vor allem Richtung Osten orientiert haben, starten wir in Teil 21 unseres fortlaufenden Animationsspecials eine Reise in Richtung Süden. Schließlich ist unser Ziel diesmal der Schwarze Kontinent, zumindest teilweise.
Nur keine Zeit verschwenden! Noch im Mutterbauch redet der kleine Kiriku auf seine Mama ein, dass er endlich geboren werden will. Schwupps ist er auch schon da und erkundet neugierig sein Umfeld. So richtig viel Euphorie begegnet er draußen jedoch nicht. Wie auch? Die böse Zauberin Karaba hat nicht nur seinen Vater, sondern auch praktisch jeden männlichen Erwachsenen gefressen. Die Frauen mussten all ihr Gold an die raffgierige Hexe abgeben. Und dann ließ das Scheusal auch noch die Quelle des afrikanischen Dorfes versiegen. Wie kann jemand nur so gemein sein? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden und nebenbei sein Dorf von dieser Schreckensherrschaft zu befreien, macht sich Kiriku auf den Weg zur Zauberin.
Wirklich oft wird Afrika ja nicht zum Schauplatz von Zeichentrickfilmen. Und wenn doch, dann aus der Perspektive der zivilisierten Welt, die den südlichen Kontinent vor allem als einen Hort der Exotik ansehen. Michel Ocelot ist da sicher eine Ausnahme, denn der gebürtige Franzose lebte selbst als Kind in Guinea. Kiriku und die Zauberin basiert dann auch nicht auf europäischem Wunschdenken, sondern einem tatsächlichen Märchen Westafrikas. Überhaupt widmete sich der französische Animationskünstler gerne der Welt der Fabeln und Legenden: Ob es seine Fernsehserie Ciné si ist, die Anthologie Tales of the Night oder der Spielfilm Azur & Asmar, sie alle haben ihre Wurzeln in überlieferten Geschichten.
Und noch in einer zweiten Hinsicht ist Kiriku und die Zauberin typisch für das Gesamtwerk Ocelots: die Perspektive. Gleich welche Animationstechnik er in seinen Beiträgen auch anwandte – das konnte von Zeichentrick über Silhouettenfilme bis zu Computergrafiken alles sein – fast immer sehen wir das Geschehen von der Seite oder frontal. Zusammen mit den einfachen Animationen und den spärlichen Hintergründen fühlt man sich hier manchmal wie in einem Videospiel aus den frühen 80ern. Wer eine ausgefeilte und detailreiche Optik sehen will, der ist hier daher fehl am Platz.
Und doch war das Langfilmdebüt von Ocelot ein voller Erfolg, dem mit Kiriku und die wilden Tiere und Kiriku und die Männer und Frauen noch zwei Fortsetzungen und sogar eine Bühnenversion folgten. Und auch die Kritiker lagen dem Regisseur zu Füßen, Isao Takahata vom Animationsurgestein Studio Ghibli überwachte persönlich die japanische Fassung, die isländische Sängerin Björk ließ sich von Ocelot das brillante Musikvideo „Earth Intruders“ inszenieren und äußerte den Wunsch, der erwachsene Kiriku würde dort auftreten.
Das ist insofern erstaunlich, weil sich der Film doch recht eindeutig an ein junges Publikum richtet. Die Geschichte ist sehr einfach, der gewitzte und unerschrockene Junge dient als vorbildhafte Projektionsfläche, zum Schluss gibt es noch eine weise Moral mit auf den Weg. Im Gegensatz zu anderen familienfreundlichen Animationsfilmen à la Mein Nachbar Totoro, Ralph reichts oder Toys in the Attic fehlen hier auch die nostalgischen oder humorvollen Passagen, um Erwachsene anzusprechen, Kiriku und die Zauberin ist ein gradliniges Abenteuer für Kinder. Dennoch können auch große Animationsfreunde mal einen Abstecher ins ferne Afrika wagen, denn aufgrund der Musik von Youssou N’Dour, den starren Perspektiven und einigen fantasievollen Elementen ist die europäische Koproduktion – der Film entstand unter anderem in Lettland und Ungarn – ein zauberhafter Zeichentrickfilm geworden, der eine ganz eigene, fremde Atmosphäre versprüht.
(Anzeige)