(„Philomena“ directed by Stephen Frears, 2013)
50 Jahre hatte sie es keiner Menschenseele erzählt, aus Scham, aber auch aus Schmerz. Schließlich durfte niemand wissen, dass Philomena als junges Mädchen (Sophie Kennedy Clark) ein uneheliches Kind bekam und deswegen in ein Kloster geschickt wurde. Ein halbes Jahrhundert später, Philomena ist inzwischen zu einer alten Frau geworden (Judi Dench), kann sie dieses Geheimnis jedoch nicht mehr für sich behalten. Zu groß ist die Trauer anlässlich seines Geburtstages, dass sie ihren Sohn damals weggeben musste. Ihre eigenen Versuche, ihn wiederzufinden, waren nie erfolgreich gewesen. Doch dieses Mal hat sie Unterstützung in Gestalt des arbeitslosen Journalisten Martin Sixsmith (Steve Coogan), der dringend eine neue Story braucht. Und diese Story nimmt eine ganz andere Wendung, als sie es sich wohl vorgestellt hatten.
„Basiert auf einer wahren Begebenheit“ wird ja immer gern hinzugezogen, um langweilige Geschichten aufzuwerten oder Übertriebenes zu rechtfertigen. Doch Philomena ist weder das eine, noch das andere. Abgesehen vom etwas dramatisierten Ende entspricht der Film den tatsächlichen Erlebnissen von Philomena Lee, deren Kind in den 50ern von Nonnen an Adoptiveltern weitergegeben wurde, ohne dass sie ein großes Mitspracherecht dabei hatte. Und auch Sixsmith ist real, auf seinem Buch „The Lost Child of Philomena Lee“ beruht der Film. Ein weiteres Aufbauschen wäre aber auch gar nicht notwendig gewesen, denn die lebenslange Suche einer Mutter nach ihrem verschwundenen Kind ist auch so bewegend genug.
Das schafft Regisseur Stephen Frears (High Fidelity, The Queen), ohne auf große Momente oder emotionale Manipulation setzen müssen. Vielmehr ist Philomena ein bemerkenswert unspektakulärer Film, dessen Tragik sich nur durch seine Geschichte entfaltet – und natürlich durch seine beiden Hauptdarsteller. Judi Dench durfte für ihre Rolle als gutmütige, eher schlichte Philomena mal wieder auf Oscarehren hoffen (auch wenn die Trophäe an Cate Blanchett für Blue Jasmine ging). Und auch Steve Coogan, sonst eher als Komiker bekannt, macht als zynischer, herablassender Journalist eine richtig gute Figur. Beide nehmen sich bei ihrer Darstellung zurück, passend zum Rest des Dramas, angenehm zurück, holen mit ihrem minimalen Spiel aber das Maximum aus ihren Rollen heraus.
Dass die Zusammenarbeit zweier so unterschiedlicher Charaktere nicht ganz reibungslos sein kann, ist klar. Tatsächlich ist Philomena oft eben aufgrund dieser Gegensätzlichkeit überraschend lustig, gerade wenn der weltgewandte Martin an der einfach gestrickten Philomena und ihrer Naivität verzweifelt. Manchmal geht der Film an dieser Stelle etwas zu weit und gibt seine Hauptfigur der Lächerlichkeit preis: Wenn die betagte Irin zum Beispiel später jedem freundlichen Angestellten um den Hals fällt oder etwas zu begeistert über ein Frühstücksbüffet plappert, dann verkommt sie etwas unnötig zur Witzfigur.
Und auch die grundsätzlichen Überlegungen zu Gott und die etwas plumpe Religionskritik hätte es nicht gebraucht, denn beides spielt keine wirkliche Rolle. Entscheidend sind hier tatsächlich nur eine Frau und die Liebe zu ihrem Sohn, die Sorge um ihn, die Schuldgefühle und der Wunsch, trotz allem ein Teil seines Lebens gewesen zu sein. Das ist an manchen Stellen sehr aufwühlend, an anderen komisch, hin und wieder lässt man sich auch von Martins ohnmächtiger Wut anstecken. Doch am Ende des Gefühlsritts wartet dann doch das Seelenheil: Philomena ist ein Drama, das einem in seinen herzzerreißenden Szenen zwar nahe geht, aber eben auch Trost spendet und zeigt, dass eine belächelte alte Dame eine Würde ausstrahlen kann, neben der dann auch ein Globetrotter und angesehener Auslandskorrespondent wie ein kleines, unerfahrenes Kind wirkt.
Philomena ist seit 12. September auf DVD und Blu-ray erhältlich
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