(„Phoenix“ directed by Christian Petzold, 2014)
Keiner hätte wohl mehr damit gerechnet, Nelly (Nina Hoss) noch einmal wiederzusehen. Und viel hätte auch nicht gefehlt, und die Jüdin wäre eine der vielen geworden, die in Auschwitz ihr Leben lassen mussten. Doch sie hat überlebt, wenn auch mit großen Verlusten: Ihr Gesicht ist bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Zusammen mit ihrer alten Freundin Lene (Nina Kunzendorf), die sich mit der Jewish Agency Anlaufstelle für jüdische Opfer einsetzt, reist sie in ihre alte Heimat Berlin. Doch trotz ihres Reichtums – Nelly erbte das Vermögen ihrer ermordeten Verwandten – das alte Aussehen lässt nicht sich wieder rekonstruieren. Nicht einmal ihr Mann Johnny (Ronald Zehrfeld) erkennt sie wieder. Dafür macht er ihr einen Vorschlag: Nelly soll sich als seine vermeintlich verstorbene Frau ausgeben und so an das Erbe rankommen. Die lässt sich darauf ein, teils aus Verwirrung, teils aus Liebe, teils aber aus auch Neugierde: War Johnny es, der sie damals an die Deutschen verraten hat?
Schon wieder ein Drama zum Zweiten Weltkrieg? Kurz nach Diplomatie dürfen wir erneut auf der großen Leinwand sehen, wie die Schrecken des 20. Jahrhunderts als Kulisse für sehr persönliche Auseinandersetzungen gebraucht werden. Zwar basiert Phoenix nicht auf einem Theaterstück, ähnlich wie der deutsch-französische Kollege hat aber auch das neueste Werk von Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold etwas sehr Kammerspielartiges an sich: Ein Großteil des Films dreht sich um gerade einmal zwei Personen, es wird viel geredet, kaum gehandelt, auch der Schauplatz ist ähnlich eingeschränkt. Wer bei einem Film vor allem was fürs Auge geboten will, kann sich das Kinoticket daher sparen. Alle anderen dürfen sich darauf freuen, dass Phoenix nicht nur formal ähnlich, sondern auch von einer vergleichbar hohen Qualität ist.
Stärker noch als bei Diplomatie spielt hier das Setting des zweiten Weltkrieges eine nur untergeordnete Rolle. Stattdessen stehen viel allgemeinere, existenzielle Fragen auf dem Programm. Natürlich ist das Drama auch mit einer gewissen Spannung verbunden, schließlich will man als Zuschauer wissen, ob Johnny seine tot geglaubte Frau irgendwann doch wiedererkennt. Und wenn ja, wie er darauf reagieren wird. Viel interessanter sind aber die Überlegungen, was die Identität eines Menschen überhaupt ausmacht. Wie viel wird durch das Aussehen bestimmt? Die Art sich zu bewegen? Zu schreiben?
Geradezu grotesk wird es, wenn Johnny im Laufe des Films versucht, Nelly beizubringen, was es eigentlich heißt, Nelly zu sein. Sicher ist das Szenario, das auf Motiven des Romans „Le retour des cendres“ von Hubert Monteilhet basiert, nicht sehr glaubwürdig. Doch darum geht es hier eben nicht, Phoenix will keine stellvertretende Kriegsanekdote sein, sondern eine Was-wäre-wenn-Überlegung. Jeder dürfte sich schon einmal gefragt haben, was andere über einen sagen, wenn man nicht dabei ist. Nelly hat die Möglichkeit dazu, wird dadurch gleichzeitig aber auch mit der Rückseite der Medaille konfrontiert: Dass man sich selbst nie wirklich ganz gehört, man für andere immer das ist, was sie draus machen.
Dass Nelly nicht unbedingt die durchsetzungsstärkste Person ist, unterstützt das Ausgeliefertsein noch. Petzolds Dauermuse Nina Hoss spielt hier – anders als in ihren letzten Rollen in Gold oder A Most Wanted Man – keine starke Frau, keinen Phoenix, der strahlend und kraftstrotzend aus der Asche emporsteigt. Vielmehr ist ihre Nelly schwach und unterwürfig, hält selbst dann noch an ihrer Liebe zu Johnny fest, als für alle anderen schon offensichtlich ist, wohin die Reise geht. Das Gesicht mag verheilt sein, sogar geradezu hübsch. Die Wunden darunter jedoch, die Trauer um den Verlust ihrer Zweisamkeit und des eigenen Ichs, denen verweigert der Film die Heilung. Und so wird Phoenix zwischendurch dann doch, philosophische Metaüberlegungen hin, konstruierte Geschichte her, ein Drama, das auch auf der menschlichen Ebene beim Zuschauer seine Spuren hinterlässt.
Phoenix läuft ab 25. September im Kino
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