(„Snowpiercer“ directed by Joon-ho Bong, 2013)
Klimaerwärmung war gestern: Der Versuch, die steigenden Temperaturen aufzuhalten war erfolgreicher als gedacht, seither ist die ganze Erde unter einer dicken Eisschicht begraben. Lediglich ein 650 Meter langer Zug bietet Zuflucht, in ihm lebt der klägliche Rest der Menschheit. Eine strikte Trennung in mehrere Klassen soll für Ordnung sorgen. Und eben diese Trennung sorgt für mächtig Unmut: Aufgebracht über die jahrelange Unterdrückung durch die Oberschicht planen Curtis (Chris Evans) und Edgar (Jamie Bell) zusammen mit dem alten Anführer Gilliam (John Hurt) einen gewaltsamen Aufstand. Der Sicherheitsexperte Namsoong (Song Hang-ko) soll ihnen dabei helfen, bis an die Zugspitze zu gelangen, denn wer die Maschine kontrolliert, kontrolliert auch das Leben im Zug.
Eine Menschheit, die nach einer Katastrophe vor dem Abgrund steht, sowie eine Gesellschaft mit willkürlichen, oft menschenverachtenden Klassen – beides gehört zum festen Repertoire von Science-Fiction-Geschichten, vor allem den dystopischen. Das Grundprinzip hinter Snowpiercer ist also bekannt, neu ist jedoch der Einfall, diese Gesellschaft in einen sich unentwegt fortfahrenden Zug zu pferchen. Ausgedacht hatte sich das originelle Szenario der französische Comicautor Jacques Lob schon Ende der 70er, 1982 veröffentlichte er dieses als „Le Transperceneige“ zusammen mit dem Zeichner Jean-Marc Rochette. Eine direkte Verfilmung ist Snowpiercer jedoch nicht, vielmehr ließ sich Regisseur Joon-ho Bong (Memories of Murder, The Host) von der Graphic Novel inspirieren.
Doch auch wenn Bong hier eine eigene Interpretation der Geschehnisse abliefert, an vielen Stellen lässt sich das Comicerbe noch erahnen. Wer mit der Erwartung an den Film geht, dass jede Szene erklärt wird, jeder Einfall glaubwürdig ist, der stößt hier schnell an seine Grenzen. Einiges wirkt nicht ganz durchdacht, so manches Verhalten ist nicht plausibel, an anderen Stellen ist Snowpiercer sogar ganz bewusst übertrieben. Tilda Swanton liefert beispielsweise als Ministerin des Regimes eine sehenswerte Darstellung ab, die aber so over the top ist, dass die Grenze zur Karikatur längst überschritten wurde. Und wenn wir im Laufe des Films immer weiter Richtung Zugspitze vordringen und grotesk dekadente Abteile durchqueren, nimmt das à la Tribute von Panem deutlich satirische Züge an.
Doch das ist auch einer der Gründe, warum Snowpiercer über weite Strecken ein sehr guter Film ist: Man weiß nie, was als nächstes passiert. Heruntergekommene, düstere Abteile wechseln sich mit atemberaubenden Inneneinrichtungen ab, meditative Aufnahmen der zu Eis erstarrten Landschaften mit perfiden Foltersequenzen, harte und spannend choreografierte Actionszenen mit ausgiebigen philosophischen Diskussionen.
Nicht alles davon ist gleich gut geglückt. So gibt es einige Computereffekte, wenn der Zug durch die Eiswelt brettert, die recht billig aussehen. Schlimmer noch ist aber, dass der Science-Fiction-Film immer wieder Zeit verschwendet, mit in die Länge gezogenen Dialogen, unnötigen Hintergrundgeschichten, später auch einem ausgedehnten, recht banalen Duell. Wirklich entgleisen tut Snowpiercer zwar nie, er kommt aber ins Schlingern. Wer will, findet also genug Gründe zu meckern. Und doch ist die eisige Dystopie bemerkenswert, sogar eine der bemerkenswertesten Filme in der letzten Zeit. Fans actionlastiger Zukunftsvisionen sollten also zumindest einmal an Bord der Endzeitbahn gewesen sein, denn vergleichbar abwechslungsreich und originell geht es in dem Genre nur selten zu.
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