(„The Old Man and the Sea“ directed by Alexander Petrov, 1999)
Dass ein einzelner Kurzfilm sehr wohl den Kauf einer DVD rechtfertigen kann, haben wir euch schon bei Kakurenbo – Hide and Seek nahegelegt. Und das gilt auch für Teil 19 unseres fortlaufenden Animationsspecials, obwohl er inhaltlich ein alter Hut ist. Aber manchmal reicht es, wenn der in neuen Farben angestrichen wird. Und das ist hier durchaus wörtlich zu nehmen.
Über die Geschichte von The Old Man and the Sea muss man nicht viel sagen, zumindest vom Titel her dürften die meisten die gleichnamige Novelle von Ernest Hemingway kennen. Die Verfilmung hält sich nahe an das Ursprungsmaterial, noch immer folgen wir dem alten Fischer Santiago raus aufs Meer. Seit 85 Tagen ohne Fang, scheint ihm dieses Mal das Glück hold zu sein: Ein gigantischer Marlin hängt plötzlich an seinem Haken. Doch der Versuch, den Speerfisch zu fangen, wird gleichzeitig zu einem Kampf auf Leben und Tod.
Während das „was“ vielen bekannt sein dürfte, ist das beim „wie“ sicher nicht der Fall. Wer das Wort Stop-Motion hört, der wird meistens zuerst an Puppenfilme (Nightmare Before Christmas, Toys in the Attic) oder solche mit Knetfiguren (Wallace & Gromit, Mary & Max) denken. Doch es gibt auch ganz andere Materialien, die sich nach dieser Methode bewegen lassen, eines der ungewöhnlichsten hat der russische Regisseur und Drehbuchautor Alexander Petrov perfektioniert: Farbe. Genauer verwendet Petrov Ölfarben, mit denen er ein Bild auf einer Glasscheibe malt. Dieses verändert er dann von Einstellung zu Einstellung ein bisschen, manchmal mit einem Pinsel, meistens mit seinen Fingern. Ähnlich zu den Werken seiner Kollegen entsteht durch das Abfotografieren dieser Bilderfolge der Eindruck von Bewegung, nur dass hier eben keine Objekte animiert werden, sondern ein Gemälde.
Der Eindruck ist dann auch – trotz der für Stop-Motion typischen leicht ruckelnden Animation – ein ganz anderer als bei der Konkurrenz. Wer das erste Mal The Old Man and the Sea oder eines von Petrovs anderen Werken sieht, könnte meinen, ein tatsächliches Gemälde vor sich zu haben, das urplötzlich zu Leben erwacht. Das hat dann auch Auswirkungen auf die Atmosphäre, die durch den ungewohnten Anblick fast zwangsläufig etwas Unwirkliches an sich hat, etwas Magisches. Selbst die Eigenheit, dass die Bilder immer leicht verschwommen sind, es also keine richtigen Kontraste gibt, muss kein Nachteil sein. Durch die fließenden Übergänge von Farben kann er Gegenstände per Handstreich in andere „verwandeln“ – was bei einem realen Material wenn überhaupt nur mit großem Aufwand möglich wäre.
Das soll nicht heißen, dass Petrovs Kurzfilme Schnellschüsse sind. Über zwei Jahre hat er an der Hemingway-Verfilmung gearbeitet, sein letzter Film Meine Liebe verschlang sogar deren drei. Dass kaum sonst jemand die sogenannte Öl-auf-Glas-Technik verwendet, ist da kein Wunder. Kritikerlob gab es dafür zuhauf, für The Old Man and the Sea erhielt den Oscar für den „Besten animierten Kurzfilm“, drei weitere waren zumindest dafür nominiert. Nur finanziell wollte sich das nicht auszahlen: Acht Jahre sind seit seinem letzten richtigen Werk vergangen, die Pläne für einen abendfüllenden Film scheiterten immer an der Finanzierung.
Daran wird man hierzulande auch nur wenig ändern können, denn keiner seiner Kurzfilme hat es bislang nach Deutschland geschafft. Zumindest das wundervolle The Old Man and the Sea sollte aber jeder Animationsfreund einmal gesehen haben. Wer einen ersten Einblick gewinnen will, schaut ihn sich in seiner ganzen Länge einfach auf YouTube an. Noch schöner sind aber natürlich die DVD-Fassungen, die unter anderem in den USA, Frankreich und Italien erhältlich sind. Wirklich viel gesprochen wird hier ohnehin nicht, die französische Fassung enthält zudem seine früheren Kurzfilme Die Kuh, Traum eines lächerlichen Menschen und Die Nixe. Die sind im Vergleich zu seinem Meisterwerk zwar etwas grob gemalt, haben dafür aber teilweise faszinierend surreale Qualitäten.
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