(„Hirngespinster“ directed by Christian Bach, 2014)
Früher, da war Hans Dallinger (Tobias Moretti) mal ein angesehener und erfolgreicher Architekt gewesen. Heute ist davon jedoch kaum mehr etwas übrig. Nicht aus einem Mangel an Ideen, im Gegenteil: Da geht sogar viel zu viel vor in seinem Kopf, Hans fühlt sich von allem und jedem bedroht. Und eben diese Schizophrenie kostete ihn am Ende seine Arbeit. Nach außen ihn versuchen seine Frau Elli (Stephanie Japp) und die Kinder Simon (Jonas Nay) und Maya (Ella Frey) sich nichts anmerken zu lassen, doch glücklich ist da schon lange keiner mehr. Eine neue Ausschreibung soll Hans wieder zurück auf die Erfolgsspur bringen, doch mit dem Druck werden auch die Schübe stärker. Und dann wäre da auch noch Verena (Hanna Plaß), die Simon den Kopf verdreht und ihn so mit der Frage konfrontiert: Was will ich eigentlich vom Leben?
Anders als man vielleicht hätte erwarten können, geht es in Hirngespinster dann auch weniger um den Betroffenen selbst. Zwar dürfen wie immer wieder die Folgen der psychischen Störung sehen, die von skurril-witzig bis erschreckend reichen. Wichtiger aber noch war Regisseur und Drehbuchautor Christian Bach, welche Auswirkungen seine Krankheit auf den Rest der Familie hat: soziale Isolation, Scham, Angst vor der Zukunft. Im Fall von Ehefrau Elli ist das Ergebnis weniger spannend, denn die hat sich mit ihrem Schicksal längst abgefunden, kann maximal versuchen, heimlich Einfluss zu nehmen. Die große Konfrontation jedoch, die scheut sie. „Aus Liebe“ antwortet sie, als Simon sie eines Tages fragt, warum sie eigentlich noch immer mit Hand zusammen ist, seine Marotten erträgt, ein eigenes Leben längst aufgegeben hat.
Das ist bei Simon noch deutlich ambivalenter. Auch er stellte sein Glück dem der anderen unter, sieht sich vor allem in der Verantwortung, sich um seine kleine Schwester kümmern zu müssen. Doch durch das Auftauchen von Verena wird eben auch das in Frage gestellt. Wie weit muss meine Verantwortung für andere gehen? Ab welchem Zeitpunkt ist die Verantwortung für mich selbst wichtiger? Bach verzichtet darauf, eine wirkliche Antwort darauf zu geben, überlässt es dem Zuschauer, selbst Position zu beziehen.
Insgesamt ist Hirngespinster der falsche Film für die, die gerne abschalten, Füße hochlegen und sich berieseln lassen wollen. Das liegt zum einen natürlich am düsteren Thema, aber auch an der Herangehensweise: Die Geschichte und die familiären Konflikte basieren im Kern auf tatsächlichen Ereignissen aus Bachs Umfeld, entsprechend realistisch sollten diese umgesetzt werden. Und das bedeutet eben auch, sich von liebgewonnenen Heile-Welt-Mechanismen Hollywoods verabschieden zu müssen. Wann darf ich eingreifen und über das Leben eines anderen Menschen entscheiden, wenn er sich partout nicht helfen lassen will? Gibt es darauf überhaupt eine richtige Antwort? Vieles hier ist unbequem, rau, näher am Leben, als man es oft mag.
Dann und wann spürt man aber doch noch das Eingreifen einer dramaturgischen Hand, und das sind dann auch die schwächeren Momente eines ansonsten sehr überzeugenden Spielfilmdebüts. So ist die Figur der Verena sicher ein angemessenes, geradezu klassisches Plotelement als Katalysator für eine innere Entwicklung. Vielleicht aber eben auch schon wieder zu klassisch. Auch bei anderen Einfällen hat man immer wieder das Gefühl, das alles vielleicht schon ein wenig zu oft gesehen zu haben – und das ist bei einem Film mit einer so ungewöhnlichen und mutigen Grundthematik dann doch irgendwo schade.
Dennoch sollten sich Zuschauer mit einer Vorliebe für zwischenmenschliche Dramen Hirngespinster nicht entgehen lassen, und sei es nur, um die richtig starken Leistungen der beiden Hauptdarsteller bewundern zu dürfen. Sowohl Tobias Moretti wie auch Jonas Nay wurden schon vor Kinostart mit dem Bayerischen Filmpreis für ihre jeweiligen Rollen ausgezeichnet – Moretti zeitgleich für Das finstere Tal. Und wer den Film gesehen hat, wird auch verstehen warum. Moretti brilliert mit erstarrter Mine als ein starrköpfiger Charakter, der nicht wahrhaben will, zum Gefangenen seines eigenen Kopfes geworden zu sein. Und Nachwuchsschauspieler Jonas Nay (Homevideo) empfiehlt sich hier mit seiner Darstellung eines zwischen Verantwortungsbewusstsein und eigenen Bedürfnissen zerrissenen jungen Mannes, zwischen Scham und der Sorge, so wie sein Vater zu werden, schon einmal für weitere anspruchsvolle Rollen.
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