(„Jack“ directed by Edward Berger, 2014)
Manche Menschen sind einfach nicht dazu gemacht, Kinder zu haben. An Liebe ihren beiden Söhnen gegenüber mangelt es der alleinerziehenden Sanna (Luise Heyer) zwar nicht, dafür aber an Verantwortungsbewusstsein. Während sie durchs Berliner Nachtleben tingelt, ist es daher der zehn Jahre alte Jack (Ivo Pietzcker), der sich zu Hause um alles kümmern muss, vor allem aber um seinen kleinen Bruder Manuel (Georg Arms). Doch auf Dauer kann das natürlich nicht gut gehen. Als das Jugendamt Wind von den Zuständen bekommt, steckt sie Jack daher in ein Heim. Dort hält es der Junge aber nicht lange aus: Er reißt aus, sammelt Manuel unterwegs ein und macht sich anschließend auf die Suche nach ihrer Mutter, von der keiner so genau weiß, wo sie eigentlich steckt.
„Wohin des Wegs?“ ist nicht nur für Jack und seinen Bruder die entscheidende Frage, auch der Zuschauer wird sich zwischenzeitlich diese stellen – im positiven wie im negativen Sinne. Schön gelöst ist, dass tatsächlich der gesamte Film aus den Augen des kleinen Jungen erzählt wird. Er ist immer im Fokus, anhand seiner Erlebnisse entwickelt sich die Geschichte. Wenn im Hintergrund etwas passiert, ohne dass Jack es erfährt, bleibt somit auch der Zuschauer folgerichtig im Dunkeln. Erklärungen werden somit keine gegeben, zusammen mit dem Ausreißer müssen wir uns die Welt selbst erarbeiten und erleben so hautnah, was es heißt, als Kind vernachlässigt und vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Während gerade der Anfang, aber auch das Ende mit vielen starken Momenten berührt, flacht Jack im Mittelteil deutlich ab. Sobald unser Titelheld das Heim verlassen hat, verliert auch der Film seine Orientierung. Freunde, Bekannte, Arbeit, Clubs – die beiden klappern alle erdenklichen Orte ab, an denen sich Sanna aufhalten könnte. Nachvollziehbar ist das sicher, spannend jedoch weniger: Jack zerfällt an der Stelle zu einer Reihe zusammenhangloser Einzelepisoden. Ältere Semester werden hierbei an die alte Zeichentrickserie Marco erinnert, wo ein Junge 52 Folgen lang seine Mutter durch die ganze Welt folgte, nur um am Ende zu hören: „Tut mir leid, hier ist sie nicht.“ Im Serienformat geht ein solches Konzept auf, als Film langweilt es eher, denn hier wartet man vergeblich darauf, dass sich die Geschichte in irgendeiner Form weiterentwickelt. An dieser Stelle wird auch unklar, was dann überhaupt noch das Thema des Dramas sein soll.
Zum Problem der Beliebigkeit kommt noch jenes der mangelnden Glaubwürdigkeit hinzu. Vereinzelt werden zwar die Schwierigkeiten bei der Nahrungsbeschaffung thematisiert, ansonsten bleibt aber völlig im Unklaren, wie zwei Jungs sich mehrere Tage allein durch Berlin schlagen können, problemlos von einem Ort zum nächsten gelangen, ohne Nahrung, ohne Geld. Und auch, dass einige Tage auf der Straße so gar keine Spuren beim Aussehen und Zustand der beiden Kinder hinterlassen haben, leuchtet nicht wirklich ein.
Uneingeschränkt zu loben ist aber auch während es schwachen Mittelteils die Leistung von Ivo Pietzcker. Der junge Nachwuchsschauspieler verkörpert seine Rolle mit der nötigen ungewollten Ernsthaftigkeit, die seine Lebenssituation mit sich bringt. Dabei vermeidet es Jack aber, seine Hauptfigur zu mehr machen zu wollen, als er ist, als er überhaupt sein kann. Meistens schafft es der Junge gut, die Erwachsenen zu imitieren. Doch hin und wieder, etwa wenn er zu Beginn aus Eifersucht die Klamotten vom neuen Liebhaber (Jacob Matschenz) seiner Mutter aus dem Fenster wirft, schimmert dann doch bei allem Verantwortungsbewusstsein das Kind durch, das nie eins sein durfte.
Jack läuft ab 9. Oktober im Kino
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