(„Fruitvale Station“ directed by Ryan Coogler, 2013)
Niemals wieder Drogen oder kriminelle Geschäfte, endlich ein redliches Leben führen! Das neue Jahr naht und damit auch die guten Vorsätze. Und die des Exhäftlings Oscar Grant (Michael B. Jordan) lauten: wieder von vorne anzufangen, alles besser zu machen. Mehr für seine Freundin Sophina (Melonie Diaz) da zu sein, für seine kleine Tochter. Ehrlicher zu sein. Einen neuen Job zu finden. Große Pläne also, und die gilt es an Silvester auch richtig zu feiern. Zusammen mit Freunden will er deshalb nach San Francisco fahren, um dort das Jahr 2009 zu begrüßen. Auf Anraten seiner Mutter Wanda (Octavia Spencer) erklärt er sich sogar bereit, die Bahn zu nehmen und so nicht alkoholisiert Auto zu fahren. Es wird die letzte Bahnfahrt seines Lebens sein.
In einer Rezension das Ende eines Films zu verraten, ist so ziemlich das größte No-Go, das man sich vorstellen kann. Außer natürlich jeder kennt es schon. Und die Chancen stehen gut, dass das hier der Fall ist, denn der skandalöse Tod von Oscar Grant, der von einem Bahnpolizisten erschossen wurde, führte in den USA zu größeren Ausschreitungen, die selbst hierzulande für Wellen sorgten. Darüber noch einen Film drehen zu wollen, das riecht nach geschmackloser Ausschlachtung einer Tragödie. Und überhaupt: Was will man über ein medial so breit getretenes Ereignis noch erzählen?
Die Antwort von Ryan Coogler ist überraschend: Er konzentriert sich gar nicht so sehr auf den fatalen Moment, als Oscar und seine Freunde mit der Polizei aneinandergeraten. Stattdessen wendet sich der Regisseur und Drehbuchautor dem Protagonisten selbst zu, schildert seine letzten Stunden, zeigt uns, wer dieser Mensch eigentlich war, der eine so traurige Berühmtheit erlangte. Die Idee dahinter ist einfach, einleuchtend und gleichzeitig hundsgemein. So schockierend Unglücksfälle wie der von Grant auch akut sein mögen, sie verblassen relativ schnell – schließlich ist es schwer, mit einem anonymen Namen aus der Zeitung tatsächlich mitzufühlen. Indem wir ihn aber kennen, zumindest ein wenig, entfaltet das Ende erst seine richtige Wirkung.
Auf diese Weise muss Coogler auch gar nicht groß auf die Tränendrüse drücken, er lässt die Geschichte einfach für sich sprechen. Entsprechend zurückhaltend gestalten sich dann auch die ersten zwei Drittel des Films. In kurzen nicht zusammenhängenden Episoden bekommen wir einen Einblick in das Leben Grants, seine Beziehung zu seinem Umfeld, die Schwierigkeiten, wieder so richtig Fuß zu fassen. Dabei weckt Nächster Halt: Fruitvale Station bewusst auch den Eindruck, Videos aus dem Familienarchiv zusammengeklaubt zu haben. Durch den Einsatz einer Handkamera sind wir nah dran am Geschehen, Hintergrundmusik gibt es fast keine. Und wenn doch, ist sie so sparsam und organisch mit den natürlichen Geräuschen kombiniert, dass sie kaum auffällt.
Überhaupt legte Coogler bei seinem lang geplanten Spielfilmdebüt viel Wert auf Authentizität. Er arbeitete eng mit der Familie zusammen, um möglichst viel Hintergrundmaterial sammeln zu können. Und auch wenn er, abgesehen von den Credits, auf Originalaufnahmen verzichtet, weit davon entfernt ist er nicht: Der tödliche Zusammenprall in Nächster Halt: Fruitvale Station wurde an der Originalstation Fruitvale gedreht, als Vorlage für den Ablauf dienten Handyaufnahmen, die Passagiere damals gemacht hatten. Auch das trägt dazu bei, dass die hektischen Szenen einen mit voller Wucht erwischen und man selbst, wenn der Film längst vorbei ist, fassungslos auf den Bildschirm starrt.
Natürlich, ein unvoreingenommener Beobachter ist Coogler nicht. Er macht keinen Hehl daraus, dass er selbst von der Geschichte damals aufgewühlt war und begegnet Grant daher auch mit sehr viel Sympathie. Dessen diversen Vergehen und Schwächen – Untreue, Drogenverkauf, Unzuverlässigkeit – verschweigt er zwar nicht, schiebt sie aber rasch beiseite. Verkörpert durch Michael B. Jordan, der ebenso wie die Nebendarstellerinnen Melonie Diaz und Octavia Spencer eine hervorragende Leistung abgibt, entsteht so das warmherzige und bewegende Porträt eines Mannes, der trotz seiner Fehler ein guter Mensch hätte sein können – wenn man ihn gelassen hätte.
Nächster Halt: Fruitvale Station ist seit 2. Oktober auf DVD und Blu-ray erhältlich
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