(„The Nightmare Before Christmas“ directed by Henry Selick, 1993)
Auch wenn unser fortlaufendes Animationsspecial eher unbekanntere Filme und Serien abdecken soll, manchmal auch in Vergessenheit geratene Klassiker wie zuletzt Das fehlende Glied oder Belladonna, so ganz ignorieren wollen wir die „Großen“ natürlich nicht, sofern sie noch in unserem Archiv fehlten. Und zu denen darf man Teil 25 ohne Zögern zählen.
Wenn es in Halloween Town einen Star gibt, dann ihn: Jack Skellington. Auf dem Papier hat zwar der Bürgermeister das Sagen, aber es ist der Totenkopf, der seine monströsen Mitbewohner mit immer neuen Ideen dazu antreibt, an Halloween Angst und Schrecken zu verbreiten. Doch so gut Jack auch ist, so sehr die anderen zu ihm aufsehen, jedes Jahr und jeden Tag dasselbe zu machen, ist auf die Dauer natürlich nicht sehr erfüllend. Als er zufällig die Weihnachtswelt entdeckt, ist er fasziniert von diesem so fröhlichen und farbenfrohen Fest. Und so fasst er den Entschluss, dieses Jahr einmal etwas Neues zu versuchen und statt Halloween eben Weihnachten zu inszenieren.
Auch wenn die Stop-Motion-Animationstechnik auf eine lange, traditionsreiche Geschichte verweisen konnte – das erste Mal kam sie bereits Ende des 19. Jahrhunderts zum Einsatz – so richtig wollte sich niemand mehr in den 1980ern dafür erwärmen. Zwar entstanden noch immer neue Filme, gerade in Osteuropa, hierzulande bekam man aber nur wenig davon mit: Chronopolis von Piotr Kamler, The Pied Piper von Jiří Barta oder Alice von Jan Svankmajer, bis heute sind gerade die für ein älteres Publikum erdachten Filme nicht in Deutschland erhältlich. Anfang der 90er erlebte Stop-Motion jedoch ein kleines Revival, als zwei Beispiele zeigten, dass sich mit Puppen und Knetmassemännchen wunderbare und sehr außergewöhnliche Geschichten erzählen lassen, die sowohl kleine wie auch große Zuschauer erreichen: Wallace & Gromit – Alles Käse von Nick Park und eben The Nightmare Before Christmas.
Anders als oft irrtümlich angenommen, führte hier Tim Burton jedoch nicht Regie. Aus Zeitgründen – Burton war damals mit Batmans Rückkehr beschäftigt – überließ er diese Aufgabe Henry Selick. Doch die Handschrift des exzentrischen Filmemachers, der die Geschichte von The Nightmare Before Christmas 1982 in Gedichtform veröffentlicht hatte, die war überall zu spüren. Wie in seinen eigenen Werken Beetlejuice und Edward mit den Scherenhänden vermengt auch der Animationsfilm das Morbide mit dem Skurrilen. Wenn hier Monster mit Schlangenarmen durch die düsteren Gassen schlurfen, ein verrückter Erfinder sein eigenes Gehirn entfernt oder Jacks Gegenspieler Oogie Boogie ein mit Maden gefüllter Lumpensack ist, dann hat das nur wenig mit kindlichen Puppenfilmen gemeinsam. Disney, das seinerzeit die Rechte gekauft hatte, als Burton noch dort angestellt war, war die vielen grotesken Gestalten ebenfalls nicht geheuer und veröffentlichte den Film deshalb lieber unter dem Erwachsenenlabel „Touchstone“.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Kinder kein Vergnügen mit The Nightmare Before Christmas haben. Trotz des düsteren Grundtenors, zu Schaden kommt hier niemand, dazu gibt es mit der Betonung eigener Stärken auch eine pädagogisch wertvolle Moral mit auf den Weg. Vor allem aber ist das Märchen grandios anzusehen: Die Animationen sind für Stop-Motion geradezu unwirklich flüssig, überall gibt es kleine, liebevolle Details zu bestaunen, bei den Puppenmodellen konnte das Studio Skellington Productions seine Kreativität kaum noch im Zaun halten. Bei aller Morbidität zeigen Selick und Burton hier eine fantastische Welt, dies es mit großen, staunenden Kinderaugen zu erkunden gilt.
Und auch der Humor kam nicht zu kurz: Ob es nun die witzigen Figuren sind, deren Interaktionen oder auch die Texte der Lieder, der Film bietet viele Anlässe zum Schmunzeln. Gesungen wird hier wie in einem „echten“ Disney-Film auch kräftig, so sehr, dass The Nightmare Before Christmas auch dem Musical-Genre zugeordnet werden könnte. Wie so oft bei Burton stammten auch hier die sehr eingängigen Melodien von Danny Elfman, der im Original zudem die Gesangsstimme von Jack übernahm. Manche Szene hätte es sicher auch ohne eigenes Lied getan, in den meisten Fällen gelingt es Elfman jedoch die jeweilige Stimmung – Euphorie, Melancholie, Boshaftigkeit – perfekt in seiner Musik auszudrücken und so noch weiter zu verstärken.
Kritikpunkte? Die findet man natürlich, wenn man möchte: Die Welt der Menschen ist recht langweilig dargestellt, das Grundthema eher einfach und wirkliche Hintergründe zu den verschiedenen Welten (Halloween, Weihnachten, Ostern …) erfährt man nicht. Doch davon sollte man sich nicht abhalten lassen, denn das verspielt-groteske Märchen ist einer der wenigen Filme, die man zu Weihnachten und Halloween gleich gut anschauen kann. Oder an jedem anderen Tag. Und auch wenn Selick und Burton in Folge jeweils bei mehreren sehenswerten Stop-Motion-Filmen Regie führten – Selick bei James und der Riesenpfirsich und Coraline, Burton bei Corpse Bride und Frankenweenie – ein vergleichbar großes Meisterwerk wollte beiden nicht mehr glücken.
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