(„Child of God“ directed by James Franco, 2013)
Seit vielen Jahren schon lebt Lester Ballard (Scott Haze) allein, seit dem Tod seiner Eltern. Doch noch immer hält er an dem Grundstück seiner Familie fest, will selbst dann noch dort leben, als es längst an andere weiterverkauft wurde. Für den geistig zurückgebliebenen Lester spielt dies jedoch keine Rolle, so wie alle soziale Regeln und Normen keine Rolle spielen. Wie ein wildes Tier haust er in den Bergen von Sevier County, Tennessee, wird von jedem gemieden, sieht man einmal vom Sheriff (Tim Blake Nelson) ab, der es auf ihn abgesehen hat. Erst als er eine junge tote Frau entdeckt, findet er darin für sich einen Ausweg aus seiner Isolation.
Kaum ein Filmschaffender wechselt wohl ähnlich krass zwischen belanglosem Mainstream und kaum erträglichem Arthaus hin und her wie James Franco. Wenn er nicht gerade in massentauglichen Filmen wie Homefront oder Die fantastische Welt von Oz mitspielt oder für Coca-Cola Werbung macht, widmet er sich so bizarren Projekten wie Interior. Leather Bar. oder Schatten und Lügen. Einen Mittelbereich? Dafür hat er nur wenig Interesse. Und auch Child of God ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass der Hollywoodstar bei seinen eigenen Regiewerken nur seine Selbstverwirklichung vor Augen hat, weniger ein potenzielles Publikum.
Wie bei seiner letzten Regiearbeit As I Lay Dying wildert er dafür in der amerikanischen Literaturgeschichte herum und wird dabei bei Cormac McCarthy fündig, dessen Romane schon die Vorlage für Filme wie No Country for Old Men und The Road geliefert haben. Dieses Mal jedoch verzichtet Franco auf inszenatorische Spielereien, sieht man einmal von den hektischen Perspektivenwechseln und der – angesichts des düsteren Themas – kuriosen Verwendung von Banjo-Countrymusik ab. Dafür widmet er sich voll und ganz seinem Protagonisten, lässt ihn auch dann nicht aus den Augen, wenn ihm der Rotz aus der Nase läuft, er in den Wald kackt oder sich an Toten vergeht.
Einen robusteren Magen sollte man daher schon mitbringen, Child of God rechtfertigt seine Freigabe ab 18 Jahren nicht mit Gewalt, sondern einer provokativen Körperlichkeit à la Lars von Trier. Und eben dem Tabuthema Nekrophilie. Wie auch bei Love Eternal kürzlich ist die Zuneigung zu toten Frauen nicht unbedingt das Resultat einer sexuellen Störung, sondern Ausdruck von Einsamkeit und Isolation. Was im wahren Leben nicht klappt, die Annäherung an einen Menschen, sei es nun aus Furcht, mangelndem Geschick oder durch Ausgrenzung von außen, findet hier eine Erfüllung bei den Toten, das Gefühl doch irgendwo dazuzugehören. Traurigkeit eint daher beide Filme, auch wenn die Ausarbeitung des Themas unterschiedlicher nicht sein könnte: Während das irische Drama bei aller Morbidität poetisch-kunstvoll war, ist Child of God vor allem eins: abstoßend. Bei allem Verständnis für den Ausgestoßenen, dem einfach kein Platz in der Gesellschaft vergönnt war, Mitgefühl mag man keines entwickeln.
Emotional ist Francos Romanverfilmung daher nicht, dafür aber hochgradig verstörend. Ein Film, den man so schnell nicht vergisst. Bis der Zuschauer aber an den entsprechenden Stellen ankommt, vergeht eine ganze Weile. Auf eine fortlaufende Geschichte verzichtet Child of God, stattdessen sehen wir lauter Einzelepisoden ohne Zusammenhang und ohne richtigen Spannungsbogen. Geduld ist daher definitiv vonnöten, wenn man die über lange Zeit ewig gleichen blassen Aufnahmen der Wälder durchstehen will. Mehr Abwechslung hätte dem Film auf jeden Fall gut getan, viele Freunde macht sich Franco mit der dezent monotonen Geschichte eines Außenseiters nicht. Aber darauf hat er es bekanntlich nicht abgesehen. Das mag man nun bewundernswert oder selbstverliebt finden, eines ist der Film sicher nicht: austauschbar. Und das ist ja auch schon mal was.
Child of God ist seit 21. November auf DVD und Blu-ray erhältlich
(Anzeige)