(„Mind Game“ directed by Masaaki Yuasa, 2004)
Wer letzte Woche bei Sita Sings the Blues Gefallen an kuriosen Stilmischungen und Grafikvariationen gewonnen hat, darf sich über Nachschub freuen: Teil 28 unseres fortlaufenden Animationsspecials ist sicher einer der seltsamsten Anime der letzten zehn Jahre. Und einer der kultigsten.
Es hätte sein Glückstag sein können, schließlich trifft der Manga-Zeichner Nishi unverhofft seine alte Jugendliebe Myon wieder, die er nie hat vergessen können. Doch der erste Schock lässt nicht lange auf sie warten, denn die Angebetete ist im Begriff zu heiraten. Und der zweite folgt sogleich, als Nishi im Restaurant ihres Vaters von einem Yakuza erschossen wird. Das will der 20-Jährige jedoch nicht auf sich sitzen lassen, einen derart erbärmlichen Tod hat nicht einmal ein Verlierer wie er verdient. Also widersetzt er sich Gottes Willen und kehrt auf die Erde zurück – was in einer noch viel wahnwitzigeren Odyssee endet.
Mind Game ist einer dieser Filme, bei der ein Blick auf dessen Bewunderer reicht, um alles zu sagen, was es zu sagen gibt. So zählt unter anderem Satoshi Kon dazu. Und wie bei seinen eigenen Werken (Perfect Blue, Millenium Actress) gibt es auch hier ein Spiel mit mehreren Ebenen: Realität, Träume, Erinnerungen, all dies verschwimmt regelmäßig zu einem assoziativen Fluss. Hinzu kommt der gemeinsam praktizierte Sprung in Metasphären, denn unser Protagonist wurde nach Robin Nishi benannt, auf dessen Manga der Anime basiert. Ebenso wenig erstaunt, Bill Plympton (Idiots and Angels, Mutant Aliens) unter den prominenten Anhängern zu finden. Schließlich sind die abgedrehten Figuren und der absurde Humor von Mind Game denen des Kultregisseurs nicht unähnlich.
Dass Masaaki Yuasa so viel Lob von Seiten der Kollegen wie auch von Kritikern erhielt – Mind Game wurde mehrfach ausgezeichnet – ist umso beeindruckender, da es sich bei dem Film um seine erste größere Regiearbeit handelte, nachdem er zuvor bei Projekten wie Meine Nachbarn die Yamadas, Crayon Shin-chan oder The Hakkenden nur in zweiter Reihe mitgewirkt hatte. Wenn sein Langfilmdebüt heute bei vielen Kultstatus genießt, dann jedoch weniger seines Inhalts wegen. Wohlwollend könnte man Mind Game als Plädoyer für ein bewussteres Leben auffassen, die Aufforderung, sich nicht Ängsten oder Zweifeln hinzugeben, sondern den Augenblick zu genießen. Man kann es aber auch bleiben lassen, denn wer ehrlich ist, wird zugeben müssen, dass die Geschichte nach dem temporeichen Beginn im Nichts verschwindet.
Doch während sie das tut, hinterlässt sie durch ihre eigenwillige Optik einen mehr als bleibenden Eindruck. Wo andere Regisseure um einen einheitlichen Look kämpfen, geht Yuasa zusammen mit Studio 4°C bewusst den umgekehrten Weg. Rotoskopie und Computergrafiken, traditionelle Zeichnungen und Realaufnahmen – hier wird alles verwendet, oft direkt hintereinander, manchmal sogar zeitgleich. Da ist natürlich gewöhnungsbedürftig, zumal selbst die Protagonisten häufiger ihr Aussehen ändern. Halt gibt es hier keinen, weder durch die Figuren, noch den Schauplatz, man muss sich jederzeit auf etwas Neues einstellen, was manchmal großartig, manchmal etwas anstrengend ist. Zwischendurch wird es sogar sehr psychedelisch: Obwohl der Schauplatz eigentlich düster ist, explodieren die Bilder in einem Feuerwerk aus Farben und Formen.
Die musikalische Begleitung ist nicht minder abwechslungsreich, denn Seiichi Yamamoto von der japanischen Rockband Boredoms schuf einen Score, der von verspielt bis zu dramatisch, von experimentell bis zu rockig alle möglichen Stile abdeckt. Produziert wurde diese Musik übrigens von Shinichirō Watanabe (Cowboy Bebop, Samurai Champloo). Und auch das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass Mind Game trotz seines fehlenden Mainstreamappeals zum Pflichtprogramm eines jeden Animefans gehört – und sei es nur, um zu sehen, was in dem Bereich optisch alles möglich ist. Denn mit dem Einheitsbrei, der einem oft vorgesetzt wird, hat das hier nur wenig zu tun. Die kantigen Figuren orientieren sich nicht am üblichen Animeschema, sondern erinnern an die ebenso exzentrischen Animationsfilme Das große Rennen von Belleville und Tekkonkinkreet.
Wer für optische Experimente weniger empfänglich ist und stattdessen eine handfeste Handlung braucht, der darf hier jedoch vergeblich suchen, wird sich vielleicht sogar langweilen. Zumindest bei Mind Game zeigt sich Masaaki Yuasa eher als Visionär, weniger als Geschichtenerzähler, ein Regisseur mit einer ausgesprochenen Vorliebe für das Ungewöhnliche. Teilt man diese, sollte man sich neben seinem bislang einzigen Film auch die beiden anderen Yuasa-Anime anschauen, die in Deutschland erhältlich sind: Happy Machine aus der Kurzfilmanthologie Genius Party, sowie Tatami Galaxy, eine etwas andere Studentenserie. Sein neuester Streich ist die Mangaverfilmung Ping Pong, welche dieses Jahr im noitaminA-Block lief. Bislang ist die Serie jedoch trotz guter Kritiken für Deutschland nicht angekündigt. Aber wenn uns Mind Game eines lehrt, dann ist es, die Hoffnung niemals aufzugeben. Und dass am Ende alles manchmal definitiv vielleicht anders kommt.
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