(„White Shadow“ directed by Noaz Deshe, 2013)
Ein weißer Farbiger? Was sich nach einem schlechten Witz anhört, ist für Alias (Hamisi Bazili) Alltag: Der Junge aus Tansania ist ein Albino inmitten von Schwarzen. Dank seiner hellen Haut und der weißen Haare ist er im Dorfleben nicht nur ein Ausgestoßener, sondern muss auch um sein Leben fürchten. Schon sein Vater, der ebenfalls an der Pigmentstörung litt, wurde ermordet, denn einem Aberglauben zufolge sollen die Körperteile betroffener Menschen heilende Wirkung haben. Um ihren Sohn zu schützen, schickt Alias Mutter (Riziki Ally) ihn zu ihrem Bruder Kosmos (James Gayo) in die Stadt, der sich fortan um ihn kümmern soll. Doch sehr viel einfacher wird sein Leben auch dort nicht.
Auch wenn wir inzwischen im 21. Jahrhundert angekommen sind, einige Ansichten und Vorurteile haben sich hartnäckig bis ins hier und jetzt gehalten. Rückständig, wild, naturverbunden, brutal, exotisch, unheimlich – wer an Afrika denkt, dem kommen vor allem Bilder aus der Zeit in den Sinn, als Europa versuchte, im „Schwarzen Kontinent“ Fuß zu fassen. Und an diesen Vorstellungen wird White Shadow sicher nichts ändern. Hier ist von Medizinmännern die Rede, von unsichtbaren Hyänen, eine Gruppe von Männern lässt angemalte Spinnen aufeinander losgehen, Mord und Totschlag sind keine Seltenheit. Da liegt der Vorwurf des Rassismus auf der Hand, vor allem der Regisseur nicht aus dem betroffenen Land stammt, sondern aus Israel.
Und doch ist der erste Spielfilm von Noaz Deshe alles andere als effekthascherisch – im Gegenteil. Über weite Strecken hält sich White Shadow sehr zurück, zeigt nur wenig, deutet dafür aber umso mehr an. Das Ergebnis ist unbedingt fesselnd, wenn die vielen Nachtaufnahmen mit seltsamen, unwirklichen Dialogen einhergehen, untermalt von einer hypnotischen Musik. Das ist in dem einen Moment poetisch-jenseitig, im nächsten wieder erschreckend real, wenn die Kinder über Müllberge klettern, um alte Computerteile zu Geld zu machen.
An vielen Stellen ist man nicht einmal sicher, ob wir überhaupt noch in einer fiktionalen Geschichte stecken oder in einer tatsächlichen Dokumentation. Deshe arbeitete früher bereits in dem Bereich, was sich deutlich zeigt: Durch Techniken wie die fahrige Handkamera oder auch die Entscheidung, sämtliche Rollen mit Laienschauspielern zu besetzen, wirkt White Shadow wie ein Blick durchs Fenster in den Alltag. Was sich normalerweise widersprechen müsste – der starke Realitätsanspruch und eine „magische“ Atmosphäre – verschmilzt hier tatsächlich zu einem Gesamtwerk, das sich nicht so ohne Weiteres wieder aufspalten lässt. Oft genug bleibt dann auch offen: Sind das tatsächliche Erfahrungen von Alias? Sind es Träume? Märchen?
Gerade auch weil Deshe auf eine durchgängige Handlung verzichtet und stattdessen nur unzusammenhängende Fragmente zeigt, funktionieren herkömmliche Betrachtungsweisen kaum und White Shadow strahlt eine ganz eigene, seltsame Atmosphäre aus. Gleichzeitig ist der Verzicht auf einen roten Faden aber auch das größte Manko des Films: So faszinierend das Drama anfangs und auch später immer mal wieder ist, für knapp zwei Stunden reicht das dann doch nicht so ganz. Hat man sich erst einmal an das Setting und die Mechanismen gewöhnt, geschieht zu wenig, um die volle Laufzeit zu rechtfertigen und die Magie macht langsam der Monotonie Platz.
White Shadow läuft ab 6. November im Kino
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