(„10 years“ directed by Jamie Linden, 2011)
Zehn Jahre sind seit dem Schulabschluss vergangen, die ehemaligen Klassenkameraden hat es in alle Winde zerstreut. Da kommt das Jubiläumstreffen doch ganz recht, um wieder Anschluss zu finden und sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen, aber auch um Vergangenes aufzuarbeiten. Jake (Channing Tatum) zum Beispiel hat seine Exfreundin Mary (Rosario Dawson) seit Jahren nicht mehr gesehen. Reeves (Oscar Isaac), inzwischen zum Rockstar avanciert, hat der Außenseiterin Elise (Kate Mara) nie seine wahren Gefühle verraten. Und Cully (Chris Pratt) hat da noch diverse Entschuldigen, die er loswerden möchte.
Was hat sich seit der Schulzeit geändert? Habe ich mich geändert? Führe ich das Leben, das ich mir damals erträumt habe? Wann immer sich ein Jubiläum ankündigt, folgen unweigerlich dieselben Fragen zum bisher Erreichten und dem, was noch kommen soll. Der „Zauber“ in 10 Jahre liegt für den Zuschauer – im Gegensatz zu dem, was im Titel impliziert wird – dann auch weniger im Wiedersehen an sich, sondern in der Universalität des Films. Die Außenseiterin, der Klassenclown, der Kreative, die Partyqueen, die Rollen in der Tragikomödie sind klar verteilt, wirklich ungewöhnlich ist hier niemand.
Das mag an dem Versuch liegen, möglichst zugängliche Identifikationsfiguren zu liefern, ist sicher aber der Notwendigkeit geschuldet: Wenn in 100 Minuten rund 20 verschiedene Figuren abgearbeitet werden wollen, um so einen Querschnitt durch die damalige Abschlussklasse abzubilden, bleibt dem einzelnen zwangsweise nicht viel Platz zur Entfaltung. Kaum eine Szene dauert wirklich länger an, episodenhaft springt der Film von Charakter zu Charakter, lässt sie in unterschiedlichen Konstellationen zusammenkommen, nur um sie anschließend wieder aufzulösen. Dass auf diese Weise kaum ein Thema wirklich ausformuliert wird, ist klar, eine tatsächliche Geschichte hat 10 Jahre nicht zu erzählen – was erstaunlich ist, denn Regiedebütant Jamie Linden machte sich vorher als Drehbuchautor einen Namen (Sie waren Helden, Leuchten der Stille).
Mindestens ebenso erstaunlich ist, wie er für seinen Independentfilm ein derzeit illustres Ensemble gewinnen konnte: Channing Tatum (Magic Mike) und seine Frau Jenna Dewan-Tatum (Step up), Chris Pratt (Guardians of the Galaxy) und Rosario Dawson (Sieben Leben), Oscar Isaac (Inside Llewyn Davis) und Anthony Mackie (Return of the First Avenger), diese und diverse weitere bekannte Schauspieler huschen hier durch die Wiedersehensparty. Dass nicht versucht wurde, aus dieser geradezu absurd hochkarätigen Besetzung nicht mehr Kapital zu schlagen, überrascht, 10 Jahre erscheint hierzulande fast schon verschämt im DVD-Regal.
Dabei ist qualitativ, abgesehen von einer gewissen inhaltlichen Austauschbarkeit, nicht viel an dem Film auszusetzen. Und selbst diese ist zu verschmerzen, denn bei 10 Jahre geht es eben nicht darum, etwas noch nie Dagewesenes zu erzählen, sondern ein authentisches Porträt einer Gruppe von Menschen zu erstellen, die früher zwangsweise viel Zeit miteinander verbrachten und nun wieder aufeinandertreffen. Viele Ereignisse sind eher beiläufig, große Dramen oder Aufreger bleiben aus. Ob ein derart unspektakulärer und leiser Film beim Zuschauer ankommt, hängt letztendlich davon ab, wie gut sie derartige Situationen selbst kennen und sich entsprechen einfühlen können. Wer selbst eine solche Reunion hinter sich hat, bei dem stehen die Chancen gut, dass er sich selbst in der Jubiläumsveranstaltung wiederfindet, in den mal witzigen, mal rührenden oder auch peinlichen Momenten, in den Versuchen der ehemaligen Klassenkameraden, ihren Platz im Leben zu bestimmen.
„Warum in die Vergangenheit schauen, wenn das Ganze Leben vor einem liegt?“ fragt einer dieser Kameraden, den es nicht mehr in seiner alten Heimatstadt hält. Ein wirkliches Gegenargument fällt keinem der Anwesenden ein, so mancher Zuschauer dürfte sich dieselbe Frage vorher selbst schon gestellt haben. Doch auch wenn 10 Jahre keine neuen Erkenntnisse an den Tag fördert und selten über Allgemeinplätze hinaus kommt, gerade für die etwas nostalgisch veranlagten bietet der bittersüße Film viele schöne Momente und einen Anlass, auch selbst wieder in Erinnerungen zu schwelgen. Und vielleicht auch den ein oder anderen Freund anzurufen, den man selbst seit Jahren nicht mehr gesprochen hat.
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