Die Karte meiner Träume

Die Karte meiner Träume

(„L’extravagant voyage du jeune et prodigieux T.S. Spivet“ directed by Jean-Pierre Jeunet, 2013)

Die Karte meiner TräumeT.S. Spivet (Kyle Catlett) ist hoch intelligent, neugierig, einfallsreich, lösungsorientiert und noch dazu ein talentierter Zeichner – beste Voraussetzung für eine große Karriere als Wissenschaftler. Nur gibt es da zwei Probleme: 1. Er steckt auf der Farm seiner Familie im Niemandsland Montanas fest. 2. Er ist erst zehn Jahre alt. Doch als er für die Erfindung eines Perpetuum mobiles den renommierten Baird Award des Smithsonian Instituts gewinnt, lässt er sich davon nicht abhalten und macht sich ganz alleine auf den Weg ins entfernte Washington, um den Preis entgegenzunehmen. Dort jedoch ahnt keiner, dass das Genie in Wirklichkeit ein kleiner Junge ist.

Aber was heißt Wirklichkeit schon? So oft hier auch die Wissenschaft in den Mittelpunkt rückt, Forschung und Naturgesetze, eigentlich ist Die Karte meiner Träume ein Film über die Kraft der Fantasie. Keiner der Protagonisten ist fest in seiner Realität verankert, sie alle nutzen Träume und Wunschvorstellungen, um dem aktuellen Leben zu entkommen. T.S. wäre am liebsten jetzt schon Wissenschaftler, auch seine Mutter Dr. Clair (Helena Bonham Carter) hat sich der Forschung verschrieben, verbringt mehr Zeit mit der Suche nach einem imaginären Käfer, als sie es mit der Familie tut. Das Familienoberhaupt (Callum Keith Rennie) wäre eigentlich lieber Cowboy geworden, Gracie (Niamh Wilson), die ältere Schwester des Wunderknaben, träumt davon, eine große Schauspielerin zu werden. Oder wenigstens einen Schönheitswettbewerb für sich zu entscheiden.Die Karte meiner Träume Szene 1

Traumhaft ist aber auch, was Regisseur Jean-Pierre Jeunet optisch aus der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Reif Larsen geleistet hat. Wie bei seinen früheren Filmen Die fabelhafte Welt der Amélie oder Delicatessen zeigt der Franzose seine Liebe zum Detail und zum Kuriosen. In geradezu unwirklich schönen, farbenfrohen Bildern im Retro-Look wird die Geschichte um ein Wunderkind und seine Familie zu einem aus der Zeit gefallenen Märchen, in dem Reales und Vorgestelltes nie wirklich voneinander zu trennen sind. Ihren Anteil daran haben aber auch die Figuren, die immer am Rande der Karikatur wandeln sowie diverse kleine optische Spielereien Jeunets, welche sich regelmäßig ins Geschehen schleichen, um es weiter aufzulockern.

Notwendig wäre das jedoch nicht gewesen, wenn überhaupt könnte man Die Karte meiner Träume vorwerfen, zu abwechslungsreich zu sein. Die anfängliche Vermutung, der Film sei eine reine Komödie, wird nämlich nur zeitweise bestätigt, genauso oft wäre die französisch-kanadische Produktion im Dramagenre anzusiedeln. Abenteuer und Roadmovie wären ebenfalls nicht verkehrt, zum Ende hin kommen noch satirische Elemente hinzu, wenn das Smithsonian Institut unter der Leitung von G.H. Jibsen (Judy Davis) und auch das Fernsehen zur Zielscheibe des Spotts werden. Folgt Die Karte meiner Träume bei der Hauptgeschichte durchaus einem roten Faden, werden auf diesem Weg vor lauter Spielfreude die Genregrenzen häufiger missachtet als eingehalten.Die Karte meiner Träume Szene 2

Für manche Zuschauer könnte das ein Manko darstellen, denn wenn auf fantasievoll-komische Szenen plötzlich solche folgen, die einem das Herz in Stücke reißen, sich nostalgische Momente mit beißend-schrillen abwechseln, dann ist das alles andere als aus einem Guss. Andere werden sich vielleicht aber sogar genau darüber freuen, dass ein Film erst gar nicht versucht, das Chaos im Leben zu bändigen, sondern diesem folgt, wohin es am Ende auch führen mag. Skurril-komisch oder tieftraurig, spannend oder verträumt – Die Karte meiner Träume schafft das Kunststück, gleichzeitig ein Märchen zu sein und zu zeigen, was es heißt, auf dieser Welt zu sein, selbst wenn man das vielleicht nicht immer möchte.



(Anzeige)

Realität oder Traum, tieftrauriges Drama oder skurrile Komödie – die märchenhafte Romanverfilmung Die Karte meiner Träume schert sich wenig um Grenzen und erzählt mit wunderschönen Bildern die etwas chaotische Geschichte einer Familie, die sich in ihre Fantasien und Hoffnungen flüchtet, um dem Leben zu entkommen.
8
von 10