(„Clouds of Sils Maria“ directed by Olivier Assayas, 2014)
Die französische Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche) ist mit ihrer Assistentin Valentine (Kristen Stewart) auf dem Weg nach Zürich, um dort stellvertretend für den Schriftsteller Wilhelm Melchior einen Preis entgegennehmen, als die Nachricht sie erreicht, dass der designierte Preisträger plötzlich verstorben ist. Auf der Gedenkveranstaltung lernt Maria den deutschen Regisseur Klaus Diesterweg (Lars Eidinger) kennen, der Melchiors Stück „Maloja Snake“ neu inszenieren und sie für die Hauptrolle gewinnen möchte. Mit diesem Drama über die fatale Beziehung zwischen der Geschäftsfrau Helena und ihrer jungen Angestellten Sigrid hatte sie seinerzeit den großen Durchbruch gefeiert. Doch dieses Mal soll sie in die Rolle der Älteren schlüpfen und Sigrid dem skandalumwitterten Hollywood-Star Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) überlassen, wovon Maria überhaupt nicht begeistert ist.
Nachdem der französische Regisseur und Drehbuchautor Olivier Assayas in seinem letzten Film Die wilde Zeit zeigte, wie das Erwachsenwerden und die Zeit, in der wir leben, zusammenhängen, geht er dieses Mal einen Schritt weiter. Der Kniff, Maria einmal die jüngere und nun die ältere Rolle spielen zu lassen, erweist sich dabei als ebenso simpel wie genial. Was hat die Zeit aus mir gemacht? Bin ich immer noch die Person, die ich damals war? Marias Weigerung, ihre Figur der jüngeren Schauspielerin zu überlassen, ist sicher zum einen auf die alltägliche Eitelkeit zurückzuführen, schließlich möchte niemand daran erinnert werden, älter zu werden.
Doch es geht hier auch um die grundsätzlichere Frage, wie viel Deutungshoheit ich eigentlich über mein Leben habe. Immer wieder gerät Maria mit anderen aneinander, weil sie die Figuren aus dem Stück anders interpretierte. Und das ist für die gealterte Schauspielerin auch ein Angriff auf sie selbst, denn wo die Rolle aufhört und der Mensch beginnt, das wird in Die Wolken von Sils Maria nie so ganz klar. Vor allem im Mittelteil, wenn Maria und Valentine zusammen proben und über die Figuren diskutieren, verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Leben. Es gibt keine allgemeingültige Realität, jede Geschichte wird durch die eigene Wahrnehmung zu etwas Subjektivem – das sind sicher Binsenweisheiten, wie man sie schon häufig gehört hat. Selten aber wurden sie so geschickt in den Erzählrahmen eines Films verstrickt.
Richtige Antworten sind daher hier auch Mangelware, Assayas interessierte sich vielmehr dafür, Fragen zu stellen. Mehr noch: Er nimmt sich die Freiheit heraus, manche Geschichten nicht zu erklären oder zu Ende zu erzählen, einzelne Bestandteile in den Wolken der Schweizer Berglandschaft verschwinden zu lassen. Einer zu knappen Zeit sind diese Ellipsen nicht verschuldet, mit einer Länge von über zwei Stunden ist Die Wolken von Sils Maria sicher kein kurzes Vergnügen. Doch Assayas zieht es eben vor, seine Figur in aller Ruhe zu zerlegen und dabei immer wieder die Bedeutungsebene zu wechseln.
Wer an solchen Metaspielen keinen Gefallen findet, wird insgesamt Die Wolken von Sils Maria wohl weniger abgewinnen können, denn was den konkreten Inhalt angeht, da ist das Drama recht genügsam. Gesprochen wird hier viel, gehandelt eher weniger. Gerade im ausgedehnten Mittelteil braucht man schon ein wenig Geduld, denn ein richtiges Ziel ist hier kaum mehr zu sehen. Dafür wird der Zuschauer aber immer wieder mit fabelhaften Schauspielleistungen, wunderbaren Aufnahmen der menschenleeren Natur und mit allerlei Denkanstößen belohnt. Lediglich die Wahl der Musik stellt einen vor wenig gewinnbringende Rätsel, denn die ist zeitweise so aufdringlich und unpassend für den ansonsten sehr zurückgenommenen Film, dass man immer wieder aus dem Geschehen gerissen wird. Diese kuriosen Anflüge von Theatralik sind glücklicherweise aber relativ selten und schaden dem ansonsten sehr empfehlenswerten europäischen Koproduktion daher auch nur marginal.
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