(„RahXephon“ directed by Yutaka Izubuchi, 2002)
Nachdem wir letzte Woche mit Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa einen Geheimtipp für Familien ausgegraben haben, dürfen in Teil 34 unseres fortlaufenden Animationsspecials auch die älteren wieder einschalten. Vor allem die älteren sogar, denn in unserem heutigen Beitrag sind all die gefragt, die auch bei komplexen, mysteriösen Geschichten einen klaren Kopf bewahren.
Ayato Kamina führt ein ganz normales Leben als Student, malt gerne, hat viele Freunde. Doch all das endet, als eines Tages eine außerirdische Macht Tokio angreift. Ayato gelingt es, mit Hilfe eines geheimnisvollen Mädchens zu fliehen und an Bord des riesigen Kampfroboters RahXephon die Aggressoren zu besiegen. Diese Fähigkeiten möchte sich auch Terra zunutze machen, eine Organisation, die sich der Abwehr der sogenannten Mu verschrieben hat. Tatsächlich schließt sich der 17-Jährige Terra an, doch bald kommen ihm Zweifel, ob die Ereignisse tatsächlich der Wahrheit entsprechen.
Japaner und ihre Riesenroboter. Seit den 50ern dienen die als Mecha bezeichneten humanoiden Ungetüme Mangahelden als probates Mittel der Verbrechensbekämpfung, spätestens in den 70ern waren die Technikwunder allgegenwärtig. An diese alten Vorbilder wollte Yutaka Izubuchi auch anschließen, als er um die Jahrtausendwende mit seinem Projekt RahXephon begann. Zuvor war der Japaner vor allem als Designer tätig, etwa für Patlabor, Record of Lodoss War oder auch Silent Möbius, mit der Serie um Ayato und die Mu gab er sein Regiedebüt.
Wer deren Kurzzusammenfassung liest, könnte schnell dem Eindruck erliegen, RahXephon wäre nur eine weitere Mechaserie aus dem Animehandbuch, schließlich gehören jugendliche Protagonisten, Kampfroboter und außerirdische Invasoren zur Grundausstattung des Genres. Doch dieser Eindruck trügt. Vieles was hier anfangs klar und eindeutig erscheint, wird später hinterfragt, Menschen sind nicht die, für die sie sich ausgeben, es gibt mehrere parallele Zeitstufen. Später ist nicht einmal mehr sicher, wer Mensch, wer Mu ist, denn bis auf das blaue Blut der Invasoren unterscheiden sie sich optisch nicht von den ursprünglichen Erdbewohnern. Wenn dann auch noch Halluzinationen hinzukommen, plus gelegentliche Flashbacks, bleibt von den ursprünglichen Erwartungen zum Schluss nicht mehr viel übrig.
Schon ein Blick auf die Roboter zeigt zudem, dass RahXephon einen etwas anderen Ansatz verfolgt. Im Gegensatz zu den Kampfmaschinen der Konkurrenz sind Izubuchis Versionen deutlich organischer. Der Kopf der Titelfigur wird beispielsweise von Federn geschmückt, die Truppen der Mus – sogenannte Dolems, die ebenso wie die Golems aus Ton gefertigt sind – sind eine sonderbare Mischung aus Schaufensterfiguren und den Dämonen aus Devil Survivor 2. Und auch die Kämpfe an sich unterscheiden sich von den üblichen, denn hier bestimmen nicht nur Kraft und Geschwindigkeit den Ausgang des Kampfes, sondern auch die eigene Musikalität. Fast immer wird während der Kämpfe gesungen, manchmal sind diese Gesänge Teil des Angriffs, auch inhaltlich spielt Musik in der Animeserie eine große Rolle.
Diese ist dann auch sehr ungewöhnlich und abwechslungsreich: Jazz und Klassik, romantisch und experimentell – der Soundtrack von Ichiko Hashimoto wechselt traumwandlerisch zwischen den verschiedenen Genres und Stimmungen und trägt entschieden zu der mysteriösen Atmosphäre bei. Optisch ist die Serie des Animationsstudios BONES (Fullmetal Alchemist, Space Dandy), abgesehen von den Mechadesigns, weniger auffällig. Gerade die leblosen Hintergründe sind oft eher schlichter Natur, das Design der Figuren entspricht dem Standard, dafür überzeugen die Animationen bei den Kämpfen.
Diese sind übrigens seltener, als man vielleicht vermuten würde. Auch wenn der Konflikt zwischen Menschen und Mus das Geschehen bestimmt, interessiert sich Izubuchi oft mehr für seine Figuren. In manchen der 26 Folgen wird auch gar nicht gekämpft, stattdessen beleuchtet er die Beziehungen der Protagonisten untereinander. Da ist zwar kaum etwas dabei, was man nicht von anderen Serien schon kennen würde, immerhin bleiben die Reaktionen aber immer glaubwürdig und lassen sich nie auf ein künstliches Melodram à la Black Rock Shooter herab. Wenn überhaupt steht ein Vergleich zu The Place Promised in Our Early Days an, wie dort treffen hier Coming of Age, Melancholie, Fantasy und Science Fiction zusammen.
Dass ein solches Sammelsurium sich im Serienformat besser entfalten kann, ist klar, im Vergleich zu Makoto Shinkais erstem Kinofilm ist RahXephon sicher ausformulierter. Und annähernd so verworren wie das große Vorbild Neon Genesis Evangelion wird es auch nicht. Dennoch bleiben auch hier am Ende viele Fragen offen, der Weg dorthin ist oft kaum verständlich. Gerade die vielen Charaktere, die wie in Trinity Blood plötzlich auftauchen, ohne großartig eingeführt zu werden, sorgen für reichlich Verwirrung. Manchmal kommen einem sogar Zweifel, ob man nicht versehentlich eine Folge verpasst hat, so sprunghaft wird die Geschichte zuweilen erzählt. Und auch die vielen Verweise auf Musik, Literatur und antike Zivilisationen wollen erst einmal eingeordnet werden. Hier wäre vielleicht weniger dann doch mehr gewesen, der Anime ist an einigen Stellen unnötig überladen.
Dennoch lohnt es sich dabei zu bleiben, denn Izubuchi ist sehr geschickt darin, mit immer wieder neuen Hinweisen die eigene Neugierde hoch zu halten, spannend ist RahXephon ohnehin. Seinerzeit waren die Reaktionen auf die TV-Serie deshalb auch so positiv, dass unter anderem ein Manga, Romane und ein Film folgten. Von denen schaffte es aber nichts bis nach Deutschland, was ebenso schade ist wie Izubuchis Entscheidung, sich nach seinem vielversprechenden Regieeinstand wieder seinen Designs zu widmen. Geblieben ist aber eine fesselnde Geschichte, die heute vielleicht nicht mehr die Popularität von 2002 genießt, aber noch immer ein Beweis ist, dass man selbst auf ausgetretenen Pfaden manchmal ungewöhnliche Abzweigungen findet.
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