(„Shōnen Kagaku Kurabu“ and „Chaina-san Tanpenshū“ directed by Takashi Annô, 2001)
Wie schon letzte Woche bei Alois Nebel reisen wir auch dieses Mal in unserem fortlaufenden Animationsspecial zurück in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Doch während der tschechische Film vom Aufarbeiten vergangener Traumata handelte, richten wir in Teil 32 den Blick in die Zukunft. Ein Widerspruch? Ja, aber ein schöner.
Seit 50 Jahren existiert der Wissenschaftsclub „The Scientific Boys“ nun schon, da planen die größtenteils etwas betagten Mitglieder endlich ihren Traum zu erfüllen: eine Reise zum Mars! Das technische Know-how haben die Leute sogar, um ein Raumschiff zu bauen, nur das mit den Berechnungen, das ist dann doch nicht so ihre Sache. Glücklicherweise ist Wendy, Tochter einer der Wissenschaftler, in der Hinsicht deutlich begabter. Aber wird sie ihnen auch helfen? Denn eigentlich wollte sie mit dem Thema nichts mehr zu tun haben, nachdem ihre Theorien zum ätherischen Fluss kaum beachtet wurden. Und auch Miss China, Besitzerin eines nahegelegenen Restaurants, steht ein wenig mit der Technik auf dem Kriegsfuß – was aber auch damit zusammenhängt, dass die Experimente des Clubs oft in Katastrophen enden.
Anime und Science Fiction, das ist eine Kombination, die wie füreinander gemacht ist. Ob nun Riesenroboter durch die Gegend stampfen (Neon Genesis Evangelion, RahXephon), die Grenzen zwischen Mensch und Maschine aufgehoben werden (Ghost in the Shell, Serial Experiments Lain) oder wir mal lustige (Roujin Z, Space Dandy), dann wieder düstere Zukunftsvisionen (Akira, Texhnolyze) miterleben dürfen, kaum ein Genre ist bei den japanischen Zeichentrickkünstlern ähnlich oft und gut umgesetzt worden wie dieses. Doch selbst wer sich in dem reichhaltigen Fundus auskennt, wird kaum ein Film oder Serie nennen können, mit dem Spirit of Wonder wirklich vergleichbar wäre.
Wenn überhaupt müsste man seinen Blick in eine ganz andere Richtung wenden, weg vom Land der aufgehenden Sonne, hin nach Frankreich: Ähnlich wie in den Romanen von Jules Verne („Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“, „20.000 Meilen unter dem Meer“) ist auch Spirit of Wonder – ganz wie sein Titel verrät – von der Abenteuerlust geprägt, von Neugierde und Fantastereien, von der aufrichtigen Begeisterung für fremde Welten. Action? Die gibt es hier kaum, auch keine bedrohlichen Aliens oder epische Weltraumschlachten. Stattdessen sind unsere Protagonisten schrullige ältere Männer, die so wie in Wie der Wind sich hebt ihrem Lebenstraum folgen. Dass sie keine übermenschlichen Muskelpakete sind, sondern sich eher wie kleine Jungs verhalten, die ihren Schabernack treiben, verleiht dem Anime seinen ganz besonderen Charme.
Weniger interessant als die beiden Episoden zum Wissenschaftsclub sind die zwei anderen rund um Miss China. Zwar sind auch diese amüsant und enthalten den einen oder anderen rührenden Moment, sie verlassen sich jedoch zu stark auf einen recht albernen, slapstickartigen Humor. Problematisch ist zudem, dass hier auf eine Geschichte angespielt wird, welche die meisten nicht kennen werden, und entsprechend nur Verwirrung stiftet. Wie so oft basiert auch Spirit of Wonder auf einem Manga. Eine fortlaufende Handlung hat dieser dabei nicht, vielmehr handelt es sich um eine Sammlung von Kurzgeschichten von Kenji Tsuruta, die zwischen 1986 und 1995 entstanden sind. Eine davon – „Miss Chinas Ring“ – wurde 1992 bereits von Mitsuru Hongo (Crayon Shin-chan, Tenkai Knights) verfilmt. In Deutschland ist dieser Animekurzfilm jedoch nie erschienen. Und das ist gleich doppelt schade, denn die Geschichte ist nicht nur sehr warmherzig, sondern auch der Vorgänger zu den Episoden der deutschen DVD.
Dennoch, auch ohne entsprechende Vorkenntnisse sind die vier Folgen von Spirit of Wonder, welche Takashi Annô (The Hakkenden) 2001 mit dem Animationsstudio Ajia-do Animation Works umsetzte, unbedingt empfehlenswert. Für manche zumindest: Die gefühlvollen, sehr nostalgisch geprägten Geschichten richten sich eher an ein erwachsenes Publikum, welches die Sehnsucht nach den eigenen Kindheitsträumen nachempfinden kann. Und auch die realistische, gut animierte, aber eher simple und effektarme Optik wird heutige Zuschauer nicht unbedingt zu Begeisterungsstürmen veranlassen. Dass in der derzeitigen Animeszene hierzulande die Kurzfilmsammlung in Vergessenheit geraten ist, verwundert daher nicht wirklich. Doch für die Liebhaber etwas altmodischer Zeichentrickfilme ist das ein Grund mehr, zusammen mit dem Wissenschaftsclub kleine Abenteuer zu erleben und vielleicht auch den dazugehörigen Manga zu kaufen. Der enthält nicht nur eine Reihe weiterer Geschichten, sondern auch sehr schöne, detaillierte Zeichnungen, welche eher nach Artwork aussehen und weniger wie ein gewöhnlicher Comic.
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