(„Birdman“ directed by Alejandro González Iñárritu, 2014)
Seine größten Jahre als Schauspieler, die liegen bei Riggan Thomson (Michael Keaton) schon eine Weile zurück. Einst der gefeierte Star der Superheldenreihe Birdman, geriet er nach seinem Ausstieg in die Vergessenheit, eine neue Rolle soll das ersehnte Comeback ermöglichen. Doch mit der geplanten Aufführung eines Theaterstücks am Broadway geht es nicht nur darum, wieder einen Platz im Lampenlicht zu erringen, sondern auch der Welt zu beweisen, dass er mehr kann, als in alberne Kostüme zu schlüpfen. Als die Premiere näher rückt und sich die Anzeichen für ein Fiasko mehren, ersetzt Thomson kurzfristig eine der Hauptrollen durch den Publikumsliebling Mike Shiner (Edward Norton). Tatsächlich schafft dieser es auch, die Vorverkäufe anzukurbeln. Aber das hat seinen Preis: Der notorisch schwierige Exzentriker bringt jeden am Set zur Verzweiflung.
Kaum ein Film wurde in der letzten Zeit von Kritikern wohl derart mit Lobeshymnen überschüttet wie Birdman. Letzter Streich: Zusammen mit Grand Budapest Hotel und Boyhood geht die Tragikomödie um einen gealterten Schauspieler als großer Favorit ins Oscar-Rennen, schon vor Monaten wurde Michael Keatons Nominierung vorhergesagt. An der Geschichte liegt das nur zum Teil. Sicher sind Comebackversuche vergessener Stars bei der Jury immer ein dankbares Thema, gerade wenn man dabei à la The Artist mit etwas Wehmut auf vergangene Tage zurückblickt und sich die Rückkehr früherer Helden wünscht. Doch es sind zwei Punkte, die Birdman zu etwas ganz eigenem machen, ihn von den vielen thematisch ähnlich gelagerten Filmen abheben.
Der erste ist, dass der Film durchsetzt ist von Anspielungen, Zitaten, manchmal auch Seitenhieben. Ausgerechnet Michael Keaton für die Hauptrolle zu besetzen, war ein Geniestreich, denn der war durch seine Auftritte in Batman und Batmans Rückkehr vor 25 Jahren selbst dank eines Superhelden zum Superstar mutiert, anschließend jedoch etwas in der Versenkung verschwunden. Edward Norton wiederum ist – ebenso wie seine Figur – bei vielen Filmemachern für seine Launen und Eigensinnigkeit gefürchtet. Wo hört der Mensch auf, beginnt seine Rolle? Diese Frage stellt sich nicht nur innerhalb des Films, durch die Verflechtung mit der Außenwelt verschwimmen hier kontinuierlich die Grenzen zwischen Fantasie und Realität.
Überhaupt hebt der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu (Biutiful, Babel) hier konsequent die Gesetzmäßigkeiten und klare Linien auf. Der Film beginnt damit, dass Riggan im Schneidersitz über dem Boden schwebt, dazu kommt eine raue Stimme aus dem Off: Sein Alter Ego „Birdman“ spricht zu ihm, verspottet ihn für seine Pläne, und klingt dabei nicht zufällig wie der Dunkle Rächer. Auch später gibt es immer wieder Szenen, in denen Übernatürliches geschieht, Birdman ins Fantastische hinüberwechselt, ins Surreale, wir nicht mehr wissen, ob wir im Hier und Jetzt sind, in einem Film oder doch nur in Riggans Kopf.
Das Gefühl, selbst Teil des Geschehens zu werden, wird durch die zweite große Auffälligkeit von Birdman maßgeblich unterstützt: Der Film verzichtet auf sichtbare Schnitte. Das bedeutet nicht, dass hier mit starren Einstellungen gearbeitet wird. Im Gegenteil, alles ist hier in Bewegung, es wird gewuselt und gehuscht, ruhige Momente sind die Ausnahme. So kommt es beispielsweise vor, dass wir einem Protagonisten durch die labyrinthartigen Gänge des Theaters folgen, bis dieser einem anderen begegnet, wir uns anschließend dem anderen an die Fersen heften. Durch die ständig herumwirbelnde Kamera und den damit verbundenen häufigen Perspektivenwechseln gewinnt Birdman eine unheimliche Dynamik, projiziert den Zeitdruck des Broadway-Projekts auf die Leinwand – alles scheint hier in Echtzeit zu geschehen, die Premiere kommt unaufhörlich näher.
Ist das nicht gekünstelt? Ein typischer Fall für Style over Substance? Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf nicht, an einigen Stellen drängt sich tatsächlich der Eindruck auf, dass es Iñárritu vor allem um die Möglichkeiten des Filmemachens an sich ging, der eigentliche Film nur noch eine Nebenrolle spielt. Doch Kameratricks hin, Metakommentare her – Birdman ist in erster Linie großartiges Schauspielerkino und eine Liebeserklärung ans Geschichtenerzählen, an die Menschen, die sich der Kunst verschrieben haben. Eine direkte Kritik am Blockbusterkino ist aber weniger das Anliegen der Tragikomödie. Sicher werden hier Filme belächelt, die ihre Geschichten hier protzigen Kostümen oder ausladenden Effekten verbergen, aber auch andere bekommen Iñárritus Spitzen ab. So hat Lindsay Duncan einen pointierten Auftritt als verbitterte Theaterkritikerin Tabitha, die elitäre Selbstverliebtheit des Kunstbetriebs wird hier als ebenso lächerlich entlarvt wie das geistlose Massenkino.
Und doch ist der Ton von Birdman eben nicht herablassend, zynisch oder klagend. Vielmehr sind die satirischen Spitzen der humorige Gegenpol zu der Melancholie, die Riggan und sein Kampf um Anerkennung umweht. Amüsant und traurig, schrill und nachdenklich: Auch hier setzt sich Iñárritu über alle Grenzen hinweg, versöhnt die Gegenpole zu einem wundervollen, ganz eigenen Film. Ob es für den prognostizierten Oscarregen reichen wird, erfahren wir Ende Februar. Doch unabhängig vom Ausgang sollte niemand dieses eigenwillige Kleinod verpassen, denn Iñárritus Interpretation des Superheldengenres ist pure Kinomagie, wie man sie im heutigen Effektgewitter nur noch selten erleben darf.
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