(„Incompresa“ directed by Asia Argento, 2014)
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? Das ist bei Aria (Giulia Salermo) sicher nicht der Fall. Ihre Mutter (Charlotte Gainsbourg) und ihr Vater (Gabriel Garko) lieben sich schon lange nicht mehr, bekriegen sich, wo sie nur können. Während die Kinder aus den jeweiligen ersten Ehen der beiden – Lucrezia (Carolina Poccioni) und Donatina (Anna Lou Castoldi) – sich der Aufmerksamkeit des entsprechenden Elternteils gewiss sein können, wird die gemeinsame Tochter gern vernachlässigt, wenn nicht sogar schikaniert. Immer wieder wird sie zwischen den beiden hin und her geschoben, Trost findet sie nur in einer schwarzen Katze, die sie eines Tages von der Straße aufliest und anschließend überall hin mitnimmt.
Argento? Wer diesen Namen hört, denkt vermutlich zunächst an Dario Argento, jenen legendären Mitbegründer des Giallo-Genres. Doch während die Filme des italienischen Regisseurs und Drehbuchautors vor allem für ihre grausigen Morde in Erinnerung blieben, widmet sich seine Tochter Asia in ihrer dritten Regiearbeit dem Horror im Alltag zu. Auch wenn es nie zum Äußersten kommt, körperliche Gewalt oder sexueller Missbrauch kein Thema sind, räumt Missverstanden doch mit der oft idealisierten Vorstellung einer Patchwork-Familie auf und zeigt die Schattenseiten einer nicht zusammengewachsenen Gemeinschaft auf: Neid und Missgunst zwischen den Halbgeschwistern, Vernachlässigung durch die Eltern oder auch Bevorzugung, der Kampf um Anerkennung, unerwiderte Liebe und vor allem eben Unverständnis – die französisch-italienische Produktion lässt keine Facette eines schwierigen Heranwachsens aus.
Dabei wird Missverstanden nie wehleidig oder gar sentimental. Wo andere Filmemacher längst auf ein großes Drama gesetzt, vielleicht mit Selbstmordversuchen oder schlimmen Krankheiten auf die Tränendrüse gedrückt hätten, schickt Argento ihre Heldin in der autobiografisch beeinflussten Geschichte immer wieder hinaus aufs Schlachtfeld, ohne sie verzweifeln zu lassen. Fast schon zum Running Gag gerät hierbei, wie Aria – der zweite Vorname Argentos – immer wieder von einem Elternteil zum anderen zieht, ihre Katze im Schlepptau, in der Hoffnung, diesmal vielleicht etwas länger bleiben zu dürfen.
Überhaupt ist Missverstanden auffallend stark mit Humor durchsetzt. Gerade die Eltern sind deutlich überzeichnet, pflegen ihre Neurosen und Irrationalitäten, wo sie nur können. Köstlich ist etwa die übertriebene Abergläubigkeit des sonnengebräunten, eitlen Vaters, der jeden Erfolg oder Misserfolg als Schauspieler auf kosmische Gesetzmäßigkeiten zurückführt und kein Ritual auslässt, um sein Glück zu fördern. Und auch die Mutter, eine männerverschlingende Pianistin, wütet durchs Leben, verbrennt Freund und Feind, sieht die Welt nur als einen Anlass für rauschende Partys.
Unterhaltsam ist das zweifelsohne, außerdem hinreißend gespielt, hat jedoch einen Nachteil zur Folge: Missverstanden wirkt trotz der glaubwürdigen Grundsituation immer wieder künstlich. Die grellen Farben und der schrille Soundtrack der 80er lassen den Film immer wieder fast schon ins Surreale abschweifen, vielleicht auch ins Satirische. Die Eltern sind nicht mehr als Karikaturen, umso mehr, da keiner von ihnen einen Namen erhält. Das wiederum erschwert den Zugang zu den Figuren, das bonbonfarbene Familiendrama ist insgesamt schlicht zu übertrieben, um immer emotional auf einer Höhe zu bleiben.
Dass der Film episodenhaft-impressionistisch angelegt ist und keinem wirklichen roten Faden folgt, noch dazu recht abrupt aufhört, hilft auch nicht unbedingt dabei, am Schicksal Arias teilzuhaben. Aber vermutlich ging es dabei auch gar nicht. Statt eines bewegenden Porträts, wie man es angesichts des Themas hätte vermuten können, drehte Argento einen sonderbaren kleinen Film, eine humorvolle Ode ans Leben. Und die Aufforderung, auch dann noch weiterzumachen und den eigenen Weg zu suchen, wenn deine einzigen Begleiter Träume und eine schwarze Katze sind.
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