(„Jobanni no shima“ directed by Mizuho Nishikubo, 2014)
Wer unser fortlaufendes Animationsspecial schon länger verfolgt, wird dort so manches Beispiel entdeckt haben, dass Zeichentrick und erwachsene Themen sich nicht ausschließen. Und das gilt auch für Teil 42, bei dem hinter einer vermeintlich kindlichen Verpackung Tod und Krieg auf den Zuschauer warten.
Wir schreiben das Jahr 1945 und der Zweite Weltkrieg nähert sich dem Ende zu. Während diese Nachricht im Westen der Welt mit Erleichterung aufgenommen wird, herrscht in Japan Fassungslosigkeit. Besonders schlimm erwischt es jedoch die Bevölkerung auf Shikotan und den anderen Inseln des Kurilen-Archipels, denn schon kurz nach Kriegsende marschieren dort die Russen ein. Gerade für die Kinder Junpei und Kanta ist es nur schwer begreiflich, warum sie Teile ihres Hauses, ihres Besitzes, sogar ihrer Schule an die fremden Menschen abtreten müssen. Doch nach einiger Zeit beginnt man, sich zu arrangieren, die beiden Brüder schließen sogar Freundschaft mit der jungen Russin Tanya. Was sie nicht ahnen: Die größte Änderung steht noch bevor, alle japanischen Einwohner sollen von der Insel vertrieben werden.
Während die Geschichte um die Senkaku-Inseln, um die sich China, Japan und Taiwan balgen, in den letzten Jahren immer wieder groß in den Medien besprochen wurden, ging ein anderer Inselkonflikt des Lands der aufgehenden Sonne völlig unter: Seit dem zweiten Weltkrieg ist das Kurilen-Archipel Streitpunkt zwischen Russland und Japan, bis heute gibt es in der Hinsicht keinen Friedensvertrag zwischen den beiden Großmächten. Dieses Wissen sollte man bei Giovannis Insel mitbringen, um die Geschehnisse auch wirklich einordnen zu können, denn hier wird nicht viel dafür getan, Zuschauern einen Kontext zu liefern. Für die geschichtlichen Hintergründe interessiert sich der Anime aber auch nicht, stattdessen stehen die beiden Jungen Junpei und Kanta im Mittelpunkt.
Das wiederum weckt natürlich Erinnerungen an das wohl bekannteste Zeichentrick-Kriegsdrama aus Fernost, Die letzten Glühwürmchen von Studio Ghibli. Schließlich wurde auch dort der Zweite Weltkrieg als Bühne für die persönliche Tragödie zweier Kinder genommen. Im direkten Vergleich trifft einen Giovannis Insel nicht mit der gleichen emotionalen Wucht wie das große Vorbild, dafür ist der neueste Film von Mizuho Nishikubo – der seinerzeit unter anderem als Episode Director bei Lady Oscar mitarbeitete – von seiner Grundeinstellung her dann doch zu optimistisch. Auch wenn die Situation für die Bewohner der Insel bitter ist, finden sich hier immer wieder komische Szenen wie auch rührende Momente des Glücks. Gerade durch die aufkeimende Freundschaft der russischen und japanischen Kinder kommt sogar zwischenzeitlich Hoffnung auf, dass am Ende vielleicht doch alles gut wird.
Dass einem das Schicksal der Familie Senō nicht ganz so nahe gehen will wie seinerzeit bei Setsuko und Seita liegt aber auch daran, dass die Figurenzeichnung bei Giovannis Insel insgesamt näher an der Oberfläche bleibt. Das macht sich vor allem bei den russischen Besatzern bemerkbar, die recht einseitig als brutale und rücksichtslose Verbrecher gezeigt werden, allein Tanya und ihre Eltern zeigen, dass die Welt nicht ganz so schwarzweiß ist, wie es einem der Film manchmal weismachen will.
Schön ist Giovannis Insel trotz dieser leichten inhaltlichen Schwächen jedoch, sehr schön sogar. Das trifft zum einen auf die sehr ungewöhnliche visuelle Umsetzung durch das Animationsstudio Production I.G (Ein Brief an Momo, Jin-Roh) zu. Anders als die meisten Anime der Neuzeit, die auf einen betont cleanen Look setzen, sehen die Hintergründe hier eher wie Gemälde aus – Schraffuren und Altersrisse inklusive. Ganz anders die Figuren, welche grundsätzlich zwar realistisch aussehen, streckenweise aber auch etwas verfremdet. Das trifft vor allem bei den gelegentlichen Comedy-Einlagen zu, wenn die Charaktere nur noch sehr stilisiert zu sehen sind. Das passt dann natürlich nicht ganz zusammen, wirkt in etwa so, als wäre die Besetzung von Mind Game versehentlich bei The Old Man and the Sea gelandet, ist aber gleichzeitig irgendwo reizvoll. Da auch die Animationen auf einem guten Niveau sind, die gezeichneten sowie die vom Computer berechneten Elemente größtenteils harmonieren und vor allem die Lichteffekte hervorragend sind, gehört die Optik insgesamt sicher zu den Stärken des Films.
Aber auch ein weiteres Element sorgt dafür, dass man hier oft zu träumen beginnt: Kanta und Junpei tragen nicht zufällig ihren Namen, sondern wurden nach Figuren aus dem Buch „Night on the Galactic Railroad“ von Kenji Miyazawa benannt. Campanella diente den Senōs als Namensinspiration für Kant, Giovanni stand bei Junpei Pate – und damit auch für den Titel des Films. Immer wieder taucht die bekannte Geschichte um die galaktische Reise hier auf, sei es in konkreter Buchform oder als Fantasie der Jungen, die sich so vor der harschen Realität schützen und damit auch beim Zuschauer für emotionale Momente sorgen. Auch in der finstersten Nacht ist Trost möglich, so die Aussage des Films. Und die gilt auch weit über die Landesgrenzen hinaus. Und über die Zeit.
Wer nach dem gelungenen Giovannas Insel mehr von dem außergewöhnlichen Autor sehen möchte, der sollte übrigens nach Spring and Chaos Ausschau halten, auf den baldigen Release von Das Leben des Budori Gusko warten und auch amerikanische Online-Händler im Auge behalten, denn dieses Jahr wird in Übersee nach langer Wartezeit die Animeadaption Night on the Galactic Railroad neu aufgelegt.
(Anzeige)