Robotic Angel
© 2001 Tezuka Productions/Metropolis Project

(„Metropolis“ directed by Rintarô, 2001)

Robotic AngelAller guten Dinge sind drei: Nachdem zuletzt schon Ayakashi: Samurai Horror Tales und Gullivers Reisen auf bekannten Vorlagen basierten, stand auch bei Teil 40 unseres fortlaufenden Animationsspecials ein Klassiker Pate. Und dieses mal stammte das Original von niemand Geringerem als dem Gott des Mangas.

Wo mag dieser verrückte Professor nur stecken? Bis nach Metropolis sind der japanische Privatdetektiv Shunsaku Ban und sein Neffe Kenichi gereist, um den international gesuchten Dr. Laughton zu schnappen. Der Verbrecher ist auch tatsächlich vor Ort und arbeitet im Auftrag von Red Duke an dem Roboter-Mädchen Tima, mit dem dieser die Weltherrschaft erlangen will. Davon ahnt Kenichi jedoch nichts, als er der hübschen Androidin begegnet. Verzaubert von dem seltsamen Mädchen erkennt er selbst dann nicht die Zusammenhänge, als er mit ihr flüchtet und dabei sowohl von Red Dukes Schergen verfolgt wird, aber auch von dessen Ziehsohn – denn der ist überhaupt nicht angetan davon, dass eine Maschine mehr Zuneigung von Red Duke bekommt als er selbst.

Manchmal reicht ein einziges Bild, um der eigenen Kreativität Tür und Tor zu öffnen. So erging es Osamu Tezuka, als er eine Aufnahme aus Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker Metropolis sah. So beflügelt von dem Anblick entschied sich der Schöpfer von „Astro Boy“ und „Black Jack“, seine eigene Fassung zu schreiben – wohlgemerkt, ohne je den Film gesehen zu haben. Dass der Film von 1927 und der gleichnamige Manga von 1949 nicht viel gemeinsam haben würden, war daher klar, und auch die Animeversion von 2001 geht ihre ganz eigenen Wege. Statt dem Comic 1:1 umzusetzen entschied man sich, nur das Grundgerüst zu verwenden und mit Elementen aus Langs Meisterwerk und weiteren Science-Fiction-Filmen zu ergänzen. Auf das Ergebnis durften daher nicht nur Tezuka-Fans gespannt sein, umso mehr, da bei der Umsetzung diverse Größen der Animegeschichte beteiligt waren: Regie übernahm Rintarô (Galaxy Express 999, Captain Harlock), das Drehbuch stammte von Katsuhiro Ôtomo (Akira), für die Animationen war das Studio Madhouse (Perfect BlueBarfuß durch Hiroshima) zuständig.

Angesichts der hochkarätigen Namen waren die Erwartungen entsprechend riesig und wurden im Großen und Ganzen auch erfüllt. Natürlich ist die Geschichte nicht wirklich neu, über die Verbindung von Mensch zu Maschine hatten sich auch andere Science-Fiction-Autoren schon ihre Gedanken gemacht. Im Fokus von Robotic Angel – wie der Film aus lizenzrechtlichen Gründen in Deutschland heißt – steht dabei natürlich Tima, die beide Seiten in sich vereint und in Einklang bringen muss. Kann eine Maschine eine Persönlichkeit haben? Gefühle? Erinnerungen?

Darüber hinaus stellt der Film aber auch die Frage, wie es eigentlich um die Rechte unserer technischen Diener bestellt ist. Dystopische Romane und Filme arbeiten ja gerne mit Klassensystemen, einer festen Hierarchie zwischen der Elite und dem einfachen Volk. Hier jedoch haben Roboter die Menschen aus dem Bodensatz verdrängt, vollrichten die niedrigsten Arbeiten und werden dafür auch noch verachtet – schließlich haben sie den Einwohnern Job und Einkommen geraubt. Die daraus resultierenden, oft gewalttätigen Konflikte finden also zwischen zwei Bevölkerungsschichten statt, die beide zu den Verlierern der Gesellschaft zählen. Mensch, Maschine, hier ist keiner wirklich etwas wert, an den Errungenschaften der futuristischen Stadt können nur die wenigsten teilhaben.

Deren visuelle Ausarbeitung ist auch mehr als zehn Jahre nach dem Erscheinen des Films schlicht atemberaubend: gigantische Wolkenkratzer, die im Nichts enden, verwinkelte Gassen, Brücken und Schwebebahnen, überall fährt etwas, läuft etwas, die ganze Stadt scheint lebendig zu sein. Animiert ist das auf gutem Niveau, wie man es bei einem Kinofilm von Madhouse auch erwarten kann. Dabei verwendete das Studio gleichermaßen Computer wie Stift, lässt gezeichnete Figuren durch eine rein berechnete Stadt laufen. Während diese Stilbrüche oft recht ärgerlich sind (Trinity Blood, Speed Grapher), ist der starke Kontrast hier angesichts des Themas durchaus angemessen: In Robotic Angel sind Technik und Mensch aneinandergekettet, kommen nicht voneinander los, finden aber doch nicht zueinander. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die heute antiquiert wirkenden Designs von Tezuka: kleine, korpulente Männer, riesige Hakennasen, mächtige Schnauzbärte – wer das Werk des Mangazeichners kennt, wird hier viele Stilelemente schon einmal gesehen haben. Inmitten der unterkühlten Zukunftsstadt wirken die stilisierten Figuren oft deplatziert, so wie es den Bewohnern der Stadt auch ergeht.

Auch musikalisch ist Robotic Angel alles andere als homogen. Der beschwingte New-Orleans-Jazz nimmt uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit, während optisch alles in Richtung Zukunft weist. Und spätestens wenn in einem völlig unpassenden Moment auch noch Ray Charles’ „I Can’t Stop Loving You“ ertönt, fragt man sich, ob auf der DVD nicht versehentlich der Soundtrack eines ganz anderen Films eingespielt wurde. Das kann man völlig daneben finden oder eben auch großartig, austauschbar ist der Film jedoch zu keiner Zeit, dafür finden hier zu viele Dinge zusammen, die eigentlich nicht zusammengehören. Durchaus möglich, dass die Mangaverfilmung deshalb gerne vergessen wird, wenn von den großen Science-Fiction-Anime die Rede ist, Robotic Angel immer im Schatten von Akira, Ghost in the Shell, vielleicht sogar Jin-Roh stand. Wer diese jedoch bereits durch hat und nicht der Ansicht ist, dass farbenfrohe Bilder und eine ernste Geschichte sich widersprechen müssen, der findet in der stilistischen Wundertüte einen der besten und optisch aufregendsten Vertreter seines Genres.



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Futuristische Gebäude, altmodische Figuren-Designs, verschiedene Grafikstile, im Hintergrund beschwingte Jazz-Musik, dazu eine ernste Geschichte mit interessanten Aspekten – bei „Robotic Angel“ kommen viele Elemente zusammen, die nicht zusammenpassen. Doch dieses ständige Spiel mit Kontrasten und die lebendige Optik machen die Comicverfilmung zu einem der besten Science-Fiction-Anime.
8
von 10