(„Whiplash“ directed by Damien Chazelle, 2014)
Ein talentierter Schlagzeuger war Andrew (Miles Teller) schon immer, das allein reicht ihm jedoch nicht – er will zu den größten aller Zeiten gehören. Als er an einer der renommiertesten Musikschulen des Landes von Terence Fletcher (J.K. Simmons) entdeckt wird, scheint der Traum auch in greifbare Nähe gerückt zu sein. Doch der Jazz-Lehrer hält nichts von Kuschelpädagogik, mit immer drastischeren Methoden und Beschimpfungen versucht er, seine Schüler zu Höchstleistungen anzutreiben. Während Andrew seine Techniken tatsächlich immer weiter perfektioniert, beginnt sein Privatleben aus den Fugen zu geraten, bei seinem Vater Jim (Paul Reiser) wächst die Sorge, sein Sohn könnte an dem Druck zerbrechen.
Jahrelang hatte Regisseur und Drehbuchautor Damien Chazelle nach einer Finanzierung für seinen zweiten Film gesucht, erntete für den Stoff zwar viel Anerkennung, jedoch kein Geld. Nachdem er sich zwischenzeitlich als Auftragsautor über Wasser hielt und dafür auch das Genre wechselte – er schrieb an dem Horrorfilm Der letzte Exorzismus: The Next Chapter und dem Thriller Grand Piano mit – kehrte er letztes Jahr mit Whiplash zurück. Und wie schon bei seinem Debüt Guy and Madeline on a Park Bench wendet er sich hier dem Jazz zu.
Wenn Filmemacher Musiker zu ihren Protagonisten auserwählen, dann geht es oft um Träumer, die mit den harschen Realitäten des Musikbusiness zu kämpfen haben (Inside Llewyn Davis, Can A Song Save Your Life?), oder aber um Jugendliche, die mit Hilfe von Musik ihren Weg ins Erwachsenenleben suchen (Metalhead, Dear Courtney). Whiplash ist beides ein wenig, und doch wieder ganz anders. Ideale, Freigeist, Inspiration? Das sind für Fletcher Fremdworte, ihm geht es um technische Perfektion. Und um die zu erlangen, sind ihm am Ende alle Mittel recht.
Schon mit seinem ersten Auftritt im Film sammelt er nicht unbedingt Sympathiepunkte, für jede Szene, in der er sich einfühlsam zeigt, folgen zehn, wo er zum sadistischen Monster mutiert. Der vermeintliche Ort der Muse wird so schnell zu einem Ort des Schreckens, die psychischen wie physischen Belastungen stehen denen von Bootcamps in Militärfilmen in nichts nach. Und doch wäre es zu einfach, die Welt von Whiplash in gut und böse einzuteilen. Gerade wenn man sich nach einem Wendepunkt im letzten Drittel sicher fühlt, die Welt in Ordnung zu sein scheint, kommt Fletcher mit einer überraschenden wie unangenehmen Erkenntnis: Technische Virtuosität entsteht nicht aus Talent, sondern aus Arbeit, aus unbedingtem Willen, aus dem Versuch, Grenzen in sich und anderen zu finden und bis zum Maximum auszureizen. Aufmunterungen, ein „gut genug“, reichen dafür nicht aus. Wer ein Jahrhundertkünstler sein will, der muss Schmerzen ertragen und am Ende vielleicht an ihnen zugrunde gehen.
Schon vorher verwischen ein wenig die Grenzen, und man ist sich so gar nicht mehr sicher, auf wessen Seite man noch steht. Andrew, anfangs noch der absolute Sympathieträger, wandelt sich im Laufe der Zeit zu jemandem, der Fletcher verachtet und ihm dennoch nacheifert. Auch er beginnt nun, über Leichen zu gehen, sich seinen Bandkollegen überlegen zu fühlen und sie übel zu beschimpfen, auch seine Freundin Nicole (Melissa Benoist) behandelt er schäbig. Was ist uns Perfektion wert, so lautet die zentrale Frage des Films.
Das ist nicht nur inhaltlich spannend, sondern wurde auch meisterhaft umgesetzt. Diverse Oscar-Nominierungen darf sich Chazelle jetzt schon in seinen Lebenslauf schreiben, für viele ist J.K. Simmons der Sieg als bester Nebendarsteller nicht mehr zu nehmen. Unverdient wäre das nicht, wenn er durch den Proberaum wütet, zuckt man selbst in der sicheren Distanz des Kinosessels regelmäßig zusammen. Seinen Höhepunkt erreicht Whiplash jedoch, als Andrew mit steigendem Selbstbewusstsein oder auch zunehmender Verzweiflung seinem Mentor entgegentritt, die überbordende Leinwandpräsenz von Simmons plötzlich einen Gegenspieler findet, das Drama zu einem packenden, fast schon thrillerartigen Duell wird – verbal wie musikalisch.
Manchmal ist das Ergebnis sicher gekünstelt, wenn die Dialoge dann doch zu geschliffen sind, die Charaktere von einer übermenschlichen Schlagfertigkeit sind. Und auch die Kameraspielereien machen einem des Öfteren bewusst, am Ende doch „nur“ einen Film zu sehen. Dennoch: Dass Chazelle nach langem hin und her doch noch sein Musikerporträt fertig stellen konnte, ist ein Glücksfall. Selbst wer Jazz nicht übermäßig schätzt und mit den virtuosen Live-Musikstücken nichts anzufangen weiß, sollte einen Kinobesuch ernsthaft in Betracht ziehen. Denn schon jetzt lässt sich sagen, dass Whiplash zu den großen Highlights dieses noch jungen Jahres zählen wird.
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