(„Cowboy Bebop“ directed by Shinichirō Watanabe, 1998)
Wir bleiben in fremden Welten: Nahm uns Gwen et le livre de sable letzte Woche mit auf eine Reise in eine surreale Wüstenlandschaft, richten wir in Teil 44 unseres fortlaufenden Animationsspecials den Blick in Richtung Himmel. Und was wir dort finden, hat für viele Fans Animegeschichte geschrieben.
Rund sechzig Jahre sind vergangen seit ein Unfall mit dem Hyperspace Gateway die Oberfläche der guten alten Erde nahezu unbewohnbar gemacht hat. Die Menschen haben sich längst in alle Winde verstreut und so ziemlich jeden Stein besiedelt, den das Weltall hergibt. Es ist eine Zeit des Fortschritts, der ungeahnten technischen Möglichkeiten, aber auch des Chaos. Spike Spiegel, ein ehemaliges Mitglied eines Verbrechersyndikats, und der frühere Polizist Jet Black reisen gemeinsam an Bord des Raumschiffs Bebop durch die Galaxie, um als Kopfgeldjäger Verbrecher zu jagen – mit mehr oder weniger Erfolg.
In der Heimat ein Niemand, in der Fremde ein Star? Ganz so schlimm war es sicher nicht, aus heutiger Sicht mag man aber kaum glauben, dass Cowboy Bebop fast sein vorzeitiges Ende fand. Erst zog sich der ursprüngliche Finanzpartner Bandai zurück, weil er in der Serie nur wenig Merchandising-Potenzial sah. Und dann musste die Geschichte um eine Crew von Kopfgeldjägern auch noch gegen miese Einschaltquoten kämpfen, bei ihrer Erstausstrahlung in Japan anno 1998 wurden lediglich fünf von 26 Folgen ausgestrahlt, bevor der Sender TV Tokyo eiligst den Stecker zog. Doch auch wenn später doch noch alle Episoden ihren Weg ins Fernsehen schafften und Cowboy Bebop diverse Preise sammelte, blieb die Serie in Japan nur eine von vielen. Ganz anders in den USA, wo sie bis heute Kultstatus genießt.
Aber warum diese so unterschiedlichen Reaktion? Ein Grund war sicher, dass Cowboy Bebop in den späten 90ern die westliche Auffassung von Anime gehörig in Frage stellte. Japanische Zeichentrickfilme, das bedeutete in erster Linie Kindersendungen à la Heidi oder Biene Maja oder allenfalls Geschichten für Jugendliche (Sailor Moon, Dragon Ball). Sicher hatte zu dem Zeitpunkt Akira bereits von sich reden gemacht, genoss als Kinofilm aber ohnehin einen etwas anderen Status. Dann jedoch schwappten immer mehr Fernsehserien aus Fernost herüber, erzählten anspruchsvolle Geschichten und hielten sich auch sonst an keine vermeintlichen Genrestandards. Neon Genesis Evangelion war eine solche, Serial Experiments Lain eine weitere. Und eben auch Cowboy Bebop.
Anders als die beiden anderen Kultserien war die Zusammenarbeit von Regisseur Shinichirō Watanabe (Samurai Champloo, Terror in Tokio) und der Drehbuchautorin Keiko Nobumoto (Wolf’s Rain, Tokyo Godfathers) sehr viel weniger philosophisch und trotz des gemeinsamen Science-Fiction-Szenarios auch sehr viel weniger an Technik interessiert. Tatsächlich wirkt Cowboy Bebop gar nicht so, als wäre es fünfzig Jahre in der Zukunft angesiedelt. Sieht man einmal von den Raumschiffen ab, vieles hätte auch im Hier und Jetzt spielen können. Stattdessen besticht die TV-Produktion sogar durch ihren Retrocharme: An Stelle glitzernder High-Tech-Welten finden wir hier heruntergekommene Orte, abgenutzt, als wäre die technische Revolution bereits in der Vergangenheit verschwunden. Sogar Spike Spiegel hat schon bessere Zeiten gesehen. Und das darf wörtlich verstanden werden, denn der Haudegen hat nur noch ein richtiges Auge.
Das soll nicht heißen, dass Watanabe der Look seiner Sendung egal gewesen wäre. Im Gegenteil: Wenn sich Cowboy Bebop durch etwas auszeichnet, dann durch sein enorm hohes Stilbewusstsein. Kaum eine Serie dürfte ähnlich stark – und erfolgreich – am eigenen Coolnessfaktor gefeilt haben. Neben den etwas wortkargen, abgebrühten Protagonisten und deren markigen Sprüchen sticht besonders die Musik hervor. Wie schon der Serientitel andeutet, spielt Musik hier eine große Rolle. Und das setzt sich im Kleinen weiter fort: Die Episoden werden als „Sessions“ bezeichnet und enthalten in ihren jeweiligen Titel Anspielungen an tatsächliche Lieder (u.a. „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones, „Toys in the Attic“ von Aerosmith und „Bohemian Rhapsody“ von Queen). Trotz der Rockreferenzen ist der fantastische Soundtrack der japanischen Komponistin Yoko Kanno (Vision of Escaflowne, Kids on the Slope) aber fest im Jazz verankert, auch wenn er innerhalb dieser Grenzen so ziemlich alles ausprobiert, was das Genre hergibt.
Auch inhaltlich ließ man sich nicht auf bestimmte Schubladen ein. Die größtenteils in sich abgeschlossenen Episoden sind mal alberne Komödie, dann actionreicher Neo-Noir, dann wieder ernstes Drama, erzählen in Flashbacks die teils todtraurigen Geschichten der Crew. Das ist dann gleichzeitig Stärke und Schwäche von Cowboy Bebop: Hier wird so vogelfrei in allen möglichen Stimmungen und Stilrichtungen gewildert, dass die Serie nie konsequent eine Richtung verfolgt. Oder anders ausgedrückt: Die Identität der Serie besteht darin, keine eigene zu haben, sondern alles Mögliche in sich zu vereinen. Nicht jedes dieser Elemente ist dabei gleich gelungen, einige der Geschichten wären ohne das stilvolle Drumherum recht langweilig. Doch auch wenn der extrem hohe Zuspruch meist amerikanischer Zuschauer vielleicht etwas übertrieben ist, gehört der Anime sicher zurecht bei vielen zum Pflichtprogramm, wenn es darum geht, Neulingen die Möglichkeiten japanischer Zeichentrickkunst näherzubringen. Da auch die Optik aus dem Haus Sunrise (Planetes, Witch Hunter Robin) noch immer mit flüssigen Animationen und detailverliebten Welten gefällt, ist der Science-Fiction-Klassiker ebenso wie der 2001 nachgeschobene Film mehr als 15 Jahre später mehr als nur eine Empfehlung wert.
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