(„La Chambre bleue“ directed by Mathieu Amalric, 2014)
Es gäbe sicher viele, die mit Julien Gahyde (Mathieu Amalric) tauschen würden: Er ist mit der schönen Delphine (Léa Drucker) verheiratet, sie haben eine gemeinsame Tochter, und auch finanziell geht es dem Vertreter für Landwirtschaftsmaschinen ausgesprochen gut. Und doch landet er immer wieder in den Armen der Apothekerin Esther (Stéphanie Cléau), der Frau eines ehemaligen Schulkameraden. Eine ganze Weile scheint diese Affäre auch gut zu gehen, bis die Geschichte plötzlich eine fatale Wendung nimmt.
Wenn Krimifans den Namen Georges Simenon hören, denken sie in meist als erstes an Jules Maigret. In 75 Romanen trat der französische Kommissar der Pariser Polizei auf, rund dreißig verschiedene Darsteller verkörperten die Figur in Film und Fernsehen. Dabei war Simenon auch anderweitig sehr produktiv, mehrere hundert weitere Romane verfasste der Belgier im Laufe seines Lebens unter eigenem wie unter fremden Namen, zahlreiche davon wurden verfilmt (Die Stunde des Léon Bisquet, Die Fantome des Hutmachers). Und auch „La Chambre bleue“ von 1964 darf nun dazu gezählt werden. Aber Vorsicht: Die Adaption hat nur wenig mit dem zu tun, was man allgemein mit einem Krimi verbindet.
Am Anfang war die Leiche, dann kam die Polizei oder ein Detektiv hinzu, am Ende war der Fall gelöst. So oder ähnlich lautet die Grundstruktur vieler Genrevertreter. Nicht so bei Das blaue Zimmer: Dass auch hier etwas vorgefallen ist, das ist klar, denn der Film beginnt damit, dass Julien von der Polizei vernommen wird. Weshalb, das wird nicht verraten, ziemlich lange sogar. Nach und nach werden Puzzleteile zusammengefügt, die am Ende aber nicht den Täter oder den Tathergang ergeben, sondern das, was vor der Tat war. Und so wird die Geschichte dann auch in zwei parallelen Schienen erzählt: die chronologische Gegenwart des Verhörs und die regelmäßigen Flashbacks.
Die Herangehensweise ist interessant, wenn auch nicht übermäßig spannend. Worum es hier geht, dürften die meisten recht schnell erraten haben, nach der anfänglichen Konfusion – Was ist hier eigentlich los? – kommt nicht mehr viel, das einen noch überraschen würde. Atmosphärisch ist das stark: Mathieu Amalric, der nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern auch Regie führte und am Drehbuch beteiligt war, macht aus der Aufklärung eine Art Charakterstudie, in der er nach und nach die Persönlichkeiten von Julien und Esther freilegt, die Abgründe, die kleinen Machtspielchen. Das blaue Zimmer ist ein trister Film über das Bedauern vergangener Fehler, darüber, wie schnell ein mal eingeschlagener Weg ins Verderben führen kann, ohne dass man es merkt oder etwas dagegen tun kann – Simenons Geschichte, sie kennt nur eine Richtung.
Und doch wartet man ständig darauf, dass innerhalb dieses Fatalismus etwas Unerwartetes passiert, dass überhaupt etwas passiert. Stattdessen verläuft sich Das blaue Zimmer in zahlreichen Dialogen, deren Grenzen zum Monolog nicht immer scharf gezogen sind, manchmal auch nicht allzu viel Inhalt haben. Trotz der sehr kurzen Laufzeit von nicht einmal 80 Minuten gestaltet sich das Krimi-Drama daher recht zäh, endet auch, ohne sich wirklich zu einer Aussage durchgerungen zu haben. Wer ruhige Filme schätzt, die sich mit den dunkleren Aspekten der menschlichen Psyche befassen, für den könnte sich der impressionistische französische Film lohnen. Wer hingegen auf der Suche nach „nur“ einem spannenden Krimi oder Thriller ist, der sollte lieber ein Zimmer weiter gehen.
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