Zwei Tage eine Nacht
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Zwei Tage, eine Nacht

(„Deux jours, une nuit“, directed by Jean-Pierre Dardenne and Luc Dardenne, 2014)

Zwei Tage eine Nacht
„Zwei Tage, eine Nacht“ erscheint am 13. März auf DVD und Blu-ray

Eigentlich hatte Sandra (Marion Cotillard) gehofft, dass das Schlimmste jetzt hinter ihr läge. Die Depression ist überwunden und sie brennt darauf, in der Fabrik wieder normal weiterarbeiten zu können. Doch dann hört sie die schlimme Nachricht: Sie soll entlassen werden. Nur eine Chance bleibt ihr noch, bei einer abschließenden Abstimmung am Montagmorgen können die Kollegen entscheiden, ob sie eine bereits versprochene Prämie von 1000 Euro erhalten oder darauf verzichten, um so Sandras Stelle zu halten. Zusammen mit ihrem Mann Manu (Fabrizio Rongione) hat sie nun ein Wochenende Zeit, die anderen zu überzeugen, ihr zuliebe genau das zu tun. Doch das ist nicht einfach, denn so wie Sandra sind auch sie dringend auf das Geld angewiesen.

Würdest du auf 1000 Euro verzichten, damit jemand anderes nicht arbeitslos wird? Nicht nur Sandras 16 Kollegen müssen sich mit dieser Frage auseinandersetzen, auch der Zuschauer wird hier angehalten, Stellung zu beziehen. Anfangs scheint der Fall klar zu sein: Natürlich muss man solidarisch sein, wenn es um die berufliche Existenz eines anderen geht! Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Sicher gibt es Kollegen, bei denen der Wunsch nach Luxus oder Bequemlichkeit die Oberhand behält, denen die Einrichtung einer neuen Terrasse mehr am Herz liegt als das Schicksal Sandras. Andere würden hingegen helfen, können es aber nicht, müssen ohnehin schon alte Kacheln verkaufen oder schwarz arbeiten, um nur irgendwie über die Runden zu kommen. Und wieder einer hat schlicht Angst, dass es ihn trifft, sollte Sandra bleiben.

Verlierer sind sie daher fast alle, die insgesamt 17 Angestellten. Die Fabrik wird so zum Sammelsurium an Menschen, die im Kapitalismus irgendwo auf der Strecke geblieben sind. Diese Einzelschicksale sind es auch, die Zwei Tage, eine Nacht auf einem konstant spannenden Niveau halten. Zunächst einmal sieht es nämlich weniger danach aus. Schon die Grundsituation – Prämie oder Arbeitslosigkeit – riecht mehr nach Schreiberwerkstatt, weniger nach dem wahren Leben. Und auch wenn Sandra unterwegs ist, wird schön darauf geachtet, dass der Stimmenfang abwechselnd erfolgreich und erfolglos ist, schließlich muss bis zum Schluss offengehalten werden, was bei dem finalen Votum rauskommt. Diesen Weg einzuschlagen ist sicher naheliegend und erinnert streckenweise an den Klassiker Die 12 Geschworenen, wo ebenfalls eine eigentlich entschiedene Abstimmung noch einmal herumgerissen werden soll. Authentisch ist es jedoch weniger.

Das dies aber kaum auffallt, hat neben den traurigen Einzelgeschichten vor allem zwei Gründe. Zum einen verzichtete der neueste Film des belgischen Brüderpaars Jean-Pierre und Luc Dardenne – welches zweimal schon die Goldene Palme von Cannes gewinnen konnte (1999 für Rosetta, 2005 für Das Kind) – bei der Inszenierung auf jeglichen Schnickschnack. Mit einer unruhigen Kamera folgen die beiden ihrer Heldin, schwenken hektisch von dem einen zum anderen Gesprächspartner, so als würden wir selbst gerade mit Sandra durch die Straßen laufen. Und auch auf eine dramatische Musik wird hier verzichtet, wenn wir überhaupt Lieder hören, dann nur aus dem Autoradio. Durch diese eher spröde Herangehensweise erlangt Zwei Tage, eine Nacht doch noch die Glaubwürdigkeit, die der dem Film zugrunde liegenden Geschichte fehlt.

Und dann wäre da natürlich noch Marion Cotillard. Während die Hollywoodausflüge der Französin nicht immer so ganz überzeugend ausfallen (Blood Ties, The Immigrant), zeigt bei sie den in ihrer eigenen Sprache gedrehten Filmen ein sehr gutes Händchen. Siehe Der Geschmack von Rost und Knochen. Siehe auch hier. Wenn sie in dem Sozialdrama als Häufchen Elend immer einen Schritt davon entfernt ist, zurück in ihre Depression zu fallen, dann geht es einem bei aller inhaltlich bedingten Distanz dann doch sehr nahe, weshalb sie dieses Jahr nach La vie en rosé auch zum zweiten Mal für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert wurde.

Ganz ins Elend wollen uns die Dardenne-Brüder übrigens nicht stürzen, wägen immer zwischen Verzweiflung und Hoffnung ab. Was ihnen bei ihrem filmischen Diskurs sehr schön gelingt, ist den Zuschauer mit einem moralischen Dilemma darüber nachdenken zu lassen, was der Kampf um die Existenz aus den Menschen macht. Aus einem selbst. Und darüber, wie in einer vom schnellen Geld und großer sozialen Ungerechtigkeit geprägten Gesellschaft Solidarität überhaupt noch funktionieren kann.



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Sollen alle etwas opfern oder eine alles? Aus dieser grundsätzlichen Frage basteln Jean-Pierre und Luc Dardenne ein spannendes Sozialdrama, dessen moralisches Dilemma sich nicht ohne weiteres auflösen lässt. Die Ausgangssituation ist konstruiert, die Geschichte folgt einem dramaturgisch starren Pfad. Doch die spröde Inszenierung, die traurigen Einzelschicksale und eine stark spielende Marion Cotillard lassen einen bei „Zwei Tage, eine Nacht“ bis zum Schluss mitfiebern.
8
von 10