(„Watership Down“ directed by Martin Rosen, 1978)
Und auch diese Woche haben wir es wie schon bei den beiden letzten Malen in unserem fortlaufenden Animationsspecial mit sprechenden Tieren zu tun. Doch während Creature Comforts absurd-satirisch war, Das Leben des Budori Gusko eher melancholisch und surreal, ist Teil 51 ein Zeichentrickfilm, der aufgrund seines ungewohnt düsteren Tons Geschichte schrieb.
Ein Unglück steht ihnen bevor, davon ist das kleine Kaninchen Fiver felsenfest überzeugt. So richtig glauben wollen ihm die meisten nicht, vor allem bei den Anführern im Bau stößt er mit seinen Warnungen auf taube Ohren. Doch sein Bruder Hazel vertraut den düsteren Visionen, schließlich hat Fiver schon früher mit seinen Vorhersagen Recht behalten. Und so machen sich die beiden zusammen mit einigen anderen auf den Weg, um ein neues Zuhause zu finden und müssen dabei so manche gefährliche Situation überstehen.
In den 70ern, da war die Welt bei uns noch in Ordnung. Während in Japan schon 1969 mit Tausend und eine Nacht ein erster großer Zeichentrickfilm für Erwachsene schien, dauerte es im Westen noch ein wenig länger, bis Regisseure hier auch Zielgruppen jenseits des Kindesalter für sich entdeckten. Vor allem Ralph Bakshi war hier der Vorreiter einer etwas anderen Zeichentrickkultur, baute in Fritz the Cat und Coonskin jede Menge Sex und Gewalt ein, verspottete genüsslich Gesellschaftsnormen. Lust an der Provokation war Martin Rosen fremd, und doch ist sein Unten am Fluss ein nicht minder großer Klassiker geworden. Dabei hätte eigentlich gar nicht er, sondern John Hubley Regie führen sollen, bis dessen plötzlicher Tod alles über den Haufen warf.
„All the world will be your enemy,
Prince with a Thousand Enemies,
and when they catch you, they will kill you …
But first they must catch you.“
Der Tod, er ist überall in Unten am Fluss. Schon die am Anfang des erzählte Kaninchen-Mythologie, dass der Sonnengott Frith unzählige natürliche Feinde schuf, um die Überpopulation der Nager zu verhindern, ist meilenweit von dem entfernt, was Millionen von Kindern in den Disney-Werken zu sehen bekamen. Und die Beschäftigung mit dem eigenen Ableben, sie durchtränkt sämtliche 90 Minuten. Ob es das drohende Unheil ist, der Kampf zwischen verschiedenen Kaninchenvölkern, Hund und Katz, die Jagd auf Hazel machen, oder eben das sagenumwobene schwarze Kaninchen, das jeder vor seinem Tod sehen darf, die heile Welt der Tiere ist hier in die dunkelsten Farben getaucht. War bei Bambi der Tod der Mutter noch groß in Szene gesetzt, ist er hier oft beiläufig, so untrennbar mit dem Leben verbunden, dass man ihn kaum noch hervorheben muss. Als relativ zu Beginn ein Mitglied des Kaninchenexodus einem Vogel zum Opfer fällt, haben wir gerade mal dessen Namen erfahren. Ein kurzes betretenes Schweigen, und weiter geht es.
Ist die Verfilmung des Bestsellers „Watership Down“ von Richard Adams dann überhaupt noch für Kinder geeignet? Schon Ende der 70er war man sich da nicht so sicher, auch wenn Adams die Geschichte ursprünglich für seine eigenen Kinder geschrieben hatte. Heute, da auch die alten Volksmärchen aufgrund ihrer Brutalität oft argwöhnisch beäugt werden, ist das nicht unbedingt leichter zu beantworten. Tatsächlich fehlt hier die Betonung klassischer Tugenden, es gibt keinen Lernprozess, keine Moral. Dafür wartet auf den Zuschauer erstaunlich explizite Gewalt: Kaninchen werden verstümmelt, in Stücke gerissen, abgeschlachtet. Zu jung sollte das Publikum daher sicher nicht sein, sonst setzen sich die teilweise alptraumhaften Bilder auch in der Nacht fort. Daran ändert auch die exzentrische Möwe Kehaar nichts, die als Comic Relief inmitten der düsteren Geschichte dient.
Was Unten am Fluss wertvoll macht, ist dass er den Zuschauer eben vor dem üblichen Tierkitsch bewahrt und stattdessen ein deutlich realistischeres Bild der Fauna zeichnet: Die Natur, sie ist ein grausamer Ort, in der es nur wenig Zusammenhalt, dafür umso mehr Feinde gibt. Diese zu überwinden, fordert viel Kraft und Mut. Hazel, Fiver und den anderen dabei zuzusehen, wie sie genau das tun, ist dann auch überaus spannend, trotz der episodenhaften Geschichte, die einiges nicht ganz zu Ende erzählt, darf man hier altersunabhängig bis zum Schluss mitfiebern und dabei viele auch für menschliche Gesellschaften relevante Aspekte wie Religion und Obrigkeitsgehorsam entdecken.
Während der Inhalt heute noch genauso fesselt wie vor 37 Jahren, lässt sich das von der Optik nur teilweise behaupten. Bemerkenswert sind die realistisch gestalteten Figuren, die anders als viele tierische Kollegen überhaupt keine Verniedlichung erfahren haben. An manchen Stellen dürfen sich auch alle Freunde des Surrealen freuen, wenn Unten am Fluss in einem Strudel psychedelisch-bizarrer Bilder versinkt. Dafür sind die Aquarell-Landschaften und Animationen schon recht einfach gehalten. Zwar bewegen sich die Kaninchen authentisch, aber doch manchmal etwas zu ruckartig.
Doch trotz dieser alters- und budgetbedingten Mängel ist Unten am Fluss ein Muss für alle Liebhaber erwachsener Animationsfilme, das heute trotz des nicht überwältigenden kommerziellen Erfolges zu den großen Namen zählt. So groß, dass knapp zwanzig Jahre später eine deutlich kinderfreundlichere TV-Serie dazu entstand und die BBC derzeit an einer neuen computerberechneten Variante arbeitet. Martin Rosen hingegen wurde trotz seines renommierten Regiedebüts nie übermäßig bekannt. Immerhin, einen weiteren ebenfalls nicht ganz leicht zu verdauenden Zeichentrickfilm verdanken wir ihm aber trotzdem: Die Hunde sind los von 1982, in dem er ebenfalls einen Roman von Adams verfilmte und der ebenfalls ganz gerne mal in Listen mit den besten Animationsfilmen aller Zeiten genannt wird.
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