(„Sayonara kabukichô“ directed by Ryuichi Hiroki, 2014)
Schon immer war es der Traum von Toru (Shota Sometani) gewesen, in einem 5-Sterne-Hotel an der Rezeption zu stehen. Während er seiner Freundin Saya (Atsuko Maeda) gegenüber behauptet, genau dies zu tun, arbeitet Toru in Wirklichkeit in einem Love Hotel im Tokioter Rotlichtviertel Kabukicho. Aber auch Saya hat ihre Geheimnisse, verschweigt, dass ihr baldiger Plattenvertrag damit erkauft wird, dass sie in just jenem Love Hotel einem Mann vom Label sexuelle Dienste anbietet. Und auch die anderen Leute, die in dem Etablissement ein- und ausgehen, haben etwas zu verbergen: die Koreanerin Mena (Lee Eun-woo) ist heimlich als Callgirl unterwegs, Putzfrau Satomi (Kaho Minami) versteckt sich dort vor der Polizei, die junge Miyu (Asuka Hinoi) dreht unerkannt Pornos.
Ein Hotel als Treffpunkt der unterschiedlichsten Leute, wie wunderbar das in einem Film funktionieren kann, das zeigte uns vergangenes Jahr Wes Anderson mit seinem grandiosen Grand Budapest Hotel, der nicht nur Kritiker begeisterte, sondern etwas überraschend auch zu einem großen Kassenerfolg wurde. Von dessen pittoresken Pomp ist man hier weit entfernt: nicht wirklich schäbig, aber auch nicht gerade umwerfend elegant ist das Love Hotel vor allem eine zweckmäßige Unterkunft, in der Menschen ihren (sexuellen) Träumen nachjagen. Wirklich erfüllt wird jedoch kaum einer von diesen, in jeder Szene, in jedem Zimmer sieht man jemanden, der sich hinter einer Fassade versteckt, am eigenen Lebensentwurf scheitert oder sich und anderen Schmerz zufügt.
Doch trotz dieser trübseligen Ausgangssituation ist Kabukicho Love Hotel weder deprimierend, noch setzt er auf überlebensgroßes Melodram, wie man es manchmal in japanischen Filmen findet. Stattdessen sind viele Situationen skurril, fast schon komisch, das Spiel mit der Unehrlichkeit sich und anderen gegenüber etwas überdreht. Allein deshalb schon hat das Drama oft etwas Unwirkliches an sich, was durch die vielen „Zufälle“ noch weiter verstärkt wird. Dass beispielweise Torus Schwester Miyu ausgerechnet in seinem Hotel zum Pornodreh erscheint, ist filmtechnisch natürlich praktisch, in seiner Zufälligkeit aber wenig glaubwürdig. Und auch die Entscheidung, bei einem derart großen Figurenensemble niemanden einzuführen, dessen Leben in geordneten Bahnen verläuft, ist schon recht forciert.
Aber natürlich ging es hier auch gar nicht darum, ein realistisches Gesellschaftsporträt zu zeichnen. Stattdessen wird bei Kabukicho Love Hotel anhand einer Reihe von Einzelschicksalen durchgespielt, wie eng Hoffnungen und Enttäuschungen beieinander liegen und dass es gar nicht großer Katastrophen bedarf, damit ein Leben irgendwie schief geht. Daraus einen Episodenfilm zu machen, dessen Einzelgeschichten nur durch den Ort und die Zeit – sämtliche Ereignisse finden innerhalb von 24 Stunden statt – ist dabei Stärke und Schwäche in einem. Vor allem der Einstieg ist ein wenig verwirrend, wenn im Minutentakt neue Gesichter durchs Bild gejagt werden, von denen man gar nicht weiß, zu wem sie gehören, die auch kaum eingeführt werden. Und bei einem derartigen Sammelsurium von Geschichten ist auch wenig überraschend, wenn es da wie hier zu Niveauschwankungen kommen kann, manche Episoden und Charaktere schlichtweg interessanter sind als andere.
Dafür ist die Abwechslung hoch, trotz des stark dialoglastigen Verlaufs wird es bei Kabukicho Love Hotel nie langweilig, origineller Situationen und starker Darstellerleistungen sei Dank – allen voran die fabelhaft spielenden Jungstars Lee Eun-woo (Moebius, die Lust am Messer) und Shôta Sometani (Himizu). Leider werden sich hierzulande nur die wenigsten davon selbst ein Bild machen können, denn das im Januar in Japan gestartete Drama hat bislang weder einen deutschen Starttermin, noch ist ein DVD-Release angekündigt. Glücklich schätzen kann sich daher, wer in der Nähe von Frankfurt am Main wohnt. Dort beginnt nämlich am 2. Juni 2015 die 15. Ausgabe des japanischen Filmfestivals Nippon Connection, wo neben diesem auch das neueste Werk von Regisseur Ryuichi Hiroki (Her Granddaughter) als Deutschlandpremiere zu sehen sein wird – beide in dessen Anwesenheit.
(Anzeige)