(„We Need to Talk About Kevin“ directed by Lynne Ramsay, 2011)
Die Freude war groß, als Eva (Tilda Swinton) und Franklin (John C. Reilly) erfuhren, dass sie Eltern sein würden. Doch wirklich lang währte diese Freude nicht. Während Franklin nichts Ungewöhnliches an seinem Sohn entdecken kann, verzweifelt Eva zunehmend an der Apathie von Kevin (Jasper Newell). Richtig schlimm wird es jedoch, als er zum Teenager (Ezra Miller) heranwächst und dabei aggressive, sadistische und soziopathische Tendenzen entwickelt. Eva versucht verzweifelt, Kevin an sich zu binden, muss sich aber bald eingestehen, dass sie längst jede Kontrolle über ihn verloren hat.
Horror und Thriller natürlich, Science-Fiction und Action, die eine oder andere schwarze Komödie – so sieht im Großen und Ganzen das Programm des alljährlichen Fantasy Filmfests aus. Dramen sind jedoch sehr selten. Compliance, Love Eternal und Animals könnte man in diese Schublade packen, wenn man wollte. Aber so richtig würde das nicht passen, dafür sind sie dann doch zu ungewöhnlich. Und das gilt dann auch für We Need to Talk About Kevin, welches 2012 auf dem Frühjahrsableger FFF Nights lief.
Dabei lässt einen die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Lionel Shriver lange im Unklaren, worum es hier denn eigentlich geht. Unheimliche Musik wabert da aus den Lautsprechern, Eva badet in roter Farbe, das nicht zufällig an Blut erinnert. Wie ein Horrorfilm kommt der Indiestreifen daher. Doch sind es keine Monster aus fremden Welten, von denen hier die Gefahr ausgeht, keine Außerirdischen oder Geister, die es auf einen abgesehen haben. Der Horror, der ist hier viel kleiner, gewöhnlicher, alltäglicher. Es ist der Horror einer Mutter, die ihr Kind nicht wirklich lieben kann, der Horror eines sadistischen und destruktiven Jungen.
„Er ist doch nur ein Junge“, sagt Franklin irgendwann, in dessen Anwesenheit sich Kevin wie ein ganz gewöhnliches Kind verhält. Ist Eva vielleicht nur eine psychisch angeknackste Rabenmutter, die sein Verhalten ganz falsch wahrnimmt? Vieles spricht dafür: Sie neigt zu Halluzinationen und seltsamen Assoziationen, sagt dem Säugling beim Füttern, sie wäre lieber in Frankreich als bei ihm. Zudem wird der Film ausschließlich aus Evas Perspektive erzählt, bruchstückhaft und wenig chronologisch: Immer wieder springt We Need to Talk About Kevin in der Zeit hin und her, nimmt Ereignisse vorweg. Verlässlich ist das natürlich weniger, als Zuschauer bleibt einem nichts anderes übrig, als dabei zu bleiben und der Dinge zu harren, die da kommen.
Und die haben es in sich: Immer beängstigender wird Kevins Verhalten, immer unheimlicher der Film, man wird hineingezogen in einen Sog von Hass, Paranoia und Zerstörungswut, ohne dass We Need to Talk About Kevin je seine ruhige und unterkühlte Erzählweise aufgeben würde. Dass da etwas vorgefallen ist, daran lässt Regisseurin und Ko-Autorin Lynne Ramsay keinen Zweifel, schließlich beginnt das Drama damit, dass Eva von anderen gemieden, manchmal offen beschimpft wird. Und auch wenn es zum Schluss eine Auflösung gibt, Ramsay vermeidet es, das Geschehen tatsächlich erklären oder zu stark psychologisieren zu wollen – selbst wenn man sich das vielleicht wünschen würde.
Es ist aber nicht nur die fragmentarische Struktur und das schwierige Thema, die einen fesseln, Ramsay fand für ihr Langzeitprojekt einige fantastische Schauspieler. John C. Reilly bleibt rollenbedingt als Gutmenschpapa ein wenig blass, umso tiefer schneiden sich Tilda Swinton und die beiden bemerkenswert ähnlich aussehenden Darsteller von Kevin in die Erinnerung. Sie holen eine Geschichte, die man sonst nur aus den Nachrichten kennt, auf eine schockierende Weise zu einem nach Hause und lassen einen anschließend fassungs- und hilflos damit zurück. Das ist natürlich frustrierend, so mancher Zuschauer wird vielleicht bemängeln, dass gerade durch die Horroraspekte und den Mangel an Erklärungen We Need to Talk About Kevin kaum real erscheint. Aber wenn man sich darauf einlässt, bleibt ein Monster von einem Film zurück, das man so bald nicht wieder vergessen wird.
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