(„The Body in the Library“ directed by Silvio Narizzano, 1984)
„Da liegt eine Tote in der Bibliothek.“ Colonel Bantry (Moray Watson) und seine Frau Dolly (Gwen Watford) wollen kaum glauben, was ihr Dienstmädchen da sagt, aber die Tatsachen sprechen für sich: Ein junges Mädchen, das niemand kennt, wurde im Haus der Bantry ermordet aufgefunden. Die ermittelnden Polizisten Colonel Melchett (Frederick Jaeger) und Detective Inspector Slack (David Horovitch) haben dann auch bald alle Hände voll zu tun, denn mögliche Spuren gibt es mehr als genug. War das Mädchen auf dem Weg zum exzentrischen Filmemacher Basil Blake (Anthony Smee)? Was weiß Josie Turner (Trudie Styler), die Cousine der Ermordeten, über den Fall? Und was hat es mit dem invaliden Millionär Conway Jefferson (Andrew Cruickshank) auf sich, der offenbar Gefallen an dem Mädchen gefunden hatte? Glücklicherweise ist Miss Marple (Joan Hickson) bereits zur Stelle, eine gute Freundin von Dolly und eine noch bessere Hobbyschnüfflerin.
Auch wenn im Laufe der Zeit rund zehn verschiedene Schauspielerinnen in die Rolle der Miss Marple geschlüpft sind, wenn es um die Frage der besten Verkörperung geht, läuft es immer auf einen Zweikampf zwischen zwei Namen hinaus: Margaret Rutherford und Joan Hickson. Rutherford war nicht nur die erste, welche die berühmte Romanfigur zum Leben erweckte, sie war so prägend in den noch immer sehr populären vier Filmen (16 Uhr 50 ab Paddington, Der Wachsblumenstrauß), dass es geradezu vermessen klang, es überhaupt mit ihr aufnehmen zu wollen. Dabei ist es nicht einmal so, dass ihre Interpretation von allen geliebt wurde: So unterhaltsam die vier humorvollen Krimis aus den 60ern auch waren, mit der literarischen Vorlage von Agatha Christie hatten die nur wenig zu tun, die Autorin selbst war alles andere als glücklich über die sehr freie Adaption ihrer Heldin. Angespornt von dem Erfolg mehrerer Filme und der Serie Detektei Blunt entschloss die BBC daher Anfang der 80er, die Marple-Bücher noch einmal zu verfilmen, dieses Mal so, wie Christie es selbst gewollt hätte.
Wer nur die ersten Verfilmungen kannte, dürfte daher etwas überrascht gewesen sein, als im ersten Film der Reihe Die Tote in der Bibliothek – basierend auf dem gleichnamigen Roman von 1942 – eine ganz andere Miss Marple die Bühne betrat. Passé waren die schnodderige Schnauze, Fechteinlagen oder diverse exzentrische Züge, bei Hickson wurde aus der Hobbydetektivin eine reizende ältere Dame, die ständig in anderen Sphären zu schweben scheint. Auch das hatte etwas Komisches. Wer will schließlich schon jemanden ernstnehmen, der vor sich hin brabbelt und ständig so aussieht, als hätte er gerade sein Strickzeug verlegt? Damit änderte sich auch der Ablauf: Hier wird weniger ermittelt, dafür mehr geredet, Marple löst den Fall, indem sie Leute kennenlernt und psychologische Parallelen zu anderen aus ihrem Umfeld zieht.
Das mag weniger lustig und auch spannend sein, bietet dafür aber genügend Raum, selbst ein wenig mitzurätseln. Den Vorteil, im Fernsehen flexibler bei der Länge zu sein als bei einem Kinofilm, nutzt die BBC, um der Verfilmung gleich drei Teile à rund 50 Minuten zu spendieren. Litten gerade die Poirot-Krimis wie Mord im Orientexpress oder Tod auf dem Nil darunter, dass man so viel Platz für Einführung und Auflösung brauchte, dass der Mittelteil immer zu kurz kam, hat Die Tote in der Bibliothek alle Zeit der Welt, kann nach und nach ihre Geheimnisse preisgeben, ohne zum Schluss quasi aus dem Nichts alles aufzuklären. Mit seinem gemächlichen Tempo wirkt der Film zwar etwas antiquiert, kommt dem Originalerlebnis aber deutlich näher als die meisten anderen Versuche.
Auf die großen Stars muss man hier verzichten, das Setting ist auch nicht annähernd so exotisch wie bei den sehr aufwändigen Kinofilmen aus den Jahren zuvor. Dafür stimmt die Ausstattung, fängt schön das ländliche Leben Englands zwischen Snobismus und Provinzialität ein. Und auch der Fall an sich gefällt: Anders als bei anderen Krimis von Christie werden hier nicht gleich zu Beginn ein Dutzend Verdächtiger präsentiert, die zufälligerweise alle am selben Ort sind und alle einen guten Grund für einen Mord haben. Die potenziellen Täter kommen erst mit der Zeit und deutlich natürlicher hinzu. Da auch des Rätsels Lösung dieses Mal vergleichsweise plausibel ist, dürfen selbst dreißig Jahre später alle Freunde klassischer Wodunnits bei Die Tote in der Bibliothek kräftig mitknobeln und sich selbst als Hobbydetektiv versuchen.
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