(„Mononoke“ directed by Kenji Nakamura, 2007)
Nur ein einfacher Medizinverkäufer sei er, betont er immer, wenn von anderen angesprochen. Doch wo immer auch der im langen Gewand und mit Kopftuch gekleidete Fremde auftaucht, verheißt das nichts Gutes, denn dann hält sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein Mononoke auf. Ein reich verziertes Schwert hilft ihm dabei, die bösartigen Geister wieder zu verbannen. Doch um dies tun zu können, muss er die Hintergründe der Erscheinungen kennen, wissen, weshalb sie eigentlich hier sind. Und diese Enthüllung ist für die betroffenen Lebenden oft fast noch schlimmer als die Kreatur selbst.
Kann ein Spin-off eines Anime besser und populärer sein als das Original? In den meisten Fällen würde sich diese Frage kaum stellen, im Fall von Mononoke wäre diese jedoch tatsächlich berechtigt. Als 2006 die Horroranthologie Ayakashi: Samurai Horror Tales als dritter Beitrag in der berühmten alternativen Animeprogrammschiene noitaminA anlief, begeisterte vor allem die dritte Geschichte um den namenlosen Medizinverkäufer. Und das so sehr, dass er im Folgejahr in eben jener Schiene eine eigene Serie bekam, die das bewährte Konzept nahtlos fortsetzte.
Dass Mononoke immer wieder in eingängigen Foren genannt wird, wenn es darum geht, etwas andersartige Anime zu sehen, liegt zunächst einmal in der Optik begründet. Ähnlich wie Samurai Girls einige Jahre später setzte auch die Produktion des sonst vor allem für Endlosserien wie Dragon Ball oder Sailor Moon bekannte Animationsstudio Toei Animation auf einen Look, der sich an jahrhundertealter japanischer Malerei orientierte. So wurde beispielsweise die Textur alten Papiers imitiert, was natürlich wunderbar zu den im feudalen Japan angesiedelten Geschichten und auch den traditionellen Klängen passt. Anders als die Abenteuer der freizügigen Samuraikämpferinnen, in denen dunkle Tuschekleckse dominierten, ist Mononoke dabei jedoch bunt. Sehr bunt.
Voller visueller Experimente und psychedelischer Farben wird der Zuschauer hier von so vielen Details erschlagen, dass mitunter gar nicht mehr klar ist: Was ist Vordergrund, was ist Hintergrund? Dazu wird mit vielen Standbildern gearbeitet, was oft bei Anime aus Kostengründen geschieht, den Theatercharakter von Mononoke aber ebenso wirkungsvoll unterstreicht wie die typisch japanischen Schiebetüren aus Papier, mit denen einzelne Szenen voneinander getrennt werden. Dabei war man hier technisch durchaus auf der Höhe der Zeit, vertraute auch auf die Künste des Computers. Anders als bei vielen Konkurrenzprodukten fügen sich aber auch diese Elemente harmonisch in den Gesamteindruck ein.
Style over substance? Der Verdacht drängt sich immer auf, wenn ein Anime vor allem für seine Optik empfohlen wird, doch inhaltlich hat Mononoke ebenfalls eine Menge zu bieten. Regisseur Kenji Nakamura, der auch für die späteren noitaminA-Serien C-Control und Tsuritama verantwortlich war, erzählt in zwölf Episoden insgesamt fünf unzusammenhängende und doch packende Geschichten über Trauer und Schmerz: Fast immer ging den Erscheinungen ein tragisches Schicksal voraus, immer gibt es einen Grund dafür, warum die böswilligen Geister ihr Unwesen treiben. Die Auflösung zeigt, dass das größte Monster meist doch der Mensch ist, die vier Autoren – darunter Michiko Yokote (Shirobako, xxxHolic) und Chiaki J. Konaka (Serial Experiments Lain, Texhnolyze) – schreckten vor keiner Abscheulichkeit zurück.
Der Horroraspekt tritt im Vergleich zu dem Debüt in Ayakashi: Samurai Horror Tales zwar zurück, auch durch den gesteigerten Comedy-Anteil. Spannend ist Mononoke aber dennoch: Wie in einem Krimi wird bei jeder Geschichte ermittelt, welches Unrecht in der Vergangenheit geschehen ist, man darf als Zuschauer fleißig miträtseln, welches Mysterium hinter allem steckt. Die Abwechslung beim Ablauf hält sich dabei etwas in Grenzen, zumindest aber gibt es eine schön beklemmende Stimmung. Ob es nun ein Gasthaus ist, ein Schiff, eine Gefängniszelle oder ein fahrender Zug, immer sind die Protagonisten an einem Ort gefangen, bis auch das letzte Rätsel gelöst ist, ein Entkommen gibt es für keinen von ihnen.
Die Qualität der einzelnen Episoden schwankt wie zu erwarten ein wenig, ist aber insgesamt auf einem hohen Niveau. Leider gibt es hierzulande, wie auch schon bei Ayakashi, keine Möglichkeit, Mononoke zu kaufen, auch das europäische Ausland kuckte in die Röhre. Als US-Import ist die komplette Serie jedoch für rund 15 Euro zu haben. Wer also nicht vor Importen zurückschreckt und ein Faible für visuelle Experimente oder tragische Geistergeschichten hat, sollte sich diesen Geheimtipp nicht entgehen lassen.
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