(„Difret“ directed by Zeresenay Mehari, 2014)
Sie ist intelligent, fleißig in der Schule, will es später einmal besser haben als ihre Eltern: Während die eigensinnige, 14-jährige Hirut Assefa (Tizita Hagere) bei ihrem Lehrer hoch im Kurs steht, hat die Dorfgemeinschaft weniger Verständnis für ihre modernen Ambitionen. Auf dem Nachhauseweg wird das Mädchen deshalb auch eines Tages entführt und missbraucht, soll anschließend verheiratet werden. Hirut jedoch kann fliehen und erschießt dabei ihren Peiniger. Die anderen sind empört, fordern nun die Todesstrafe für das Kind, schließlich habe man nichts Unrechtes getan. Die Anwältin Meaza Ashenafi (Meron Getnet), die Frauen und Kindern in Not kostenlosen Rechtsbeistand leistet, sieht das ganz anders und versucht einen Freispruch zu erkämpfen – gegen den Widerstand der Behörden.
Düster, trostlos und rau – das afrikanische Kino macht es Zuschauern nicht immer leicht, will lieber auf Missstände im eigenen Land aufmerksam machen, anstatt Menschen in der Fremde zu unterhalten. Das Mädchen Hirut ist da keine Ausnahme, erzählt von grausamen Bräuchen, die man trotz des Hinweises auf wahre Begebenheiten von seinem gemütlichen Sessel aus so gar nicht glauben will. Und doch ist der äthiopische Film deutlich gefälliger als viele andere Kollegen vom „Schwarzen Kontinent“, wohl auch weil Angelina Jolie hier als Executive Producer ihre Finger im Spiel hat.
Während die Kameraführung aus gewohnten Wackelaufnahmen besteht, ist die getragene Musik schon recht westlich geprägt. Vor allem aber ist die Dramaturgie geradezu klassisch, sieht man einmal von dem konkret verhandelten Fall ab, könnte die Geschichte um die aufrechte Kämpferin aus einem beliebigen anderen Land stammen, aus einer beliebigen anderen Zeit. Außerdem wurde verpasst, den Figuren eine tatsächliche Tiefe zu geben: Die Grenzen zwischen gut und böse sind hier sehr klar gezeichnet, eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Erbe findet nicht statt.
Ein bisschen schade ist es schon, dass Das Mädchen Hirut letzten Endes keine wirklich individuelle Filmsprache entwickelt, da die Low-Budget-Produktion so in direkter Konkurrenz zu Hochglanzversionen aus dem Westen steht. Lediglich beim Ältestenrat wird der Blick auf eine ganz eigene Welt frei: Wenn das Dorf darüber berät, was in dem Fall zu tun ist und sich damit als parallele Exekutive abseits der offiziellen zeigt, wird damit auch der kulturell spannende Widerstreit zwischen Tradition und Moderne deutlich, der das Land spaltet. Ein Widerstreit zwischen überlieferten Werten und westlichem Einfluss.
Doch ganz unabhängig davon, ob der Film mehr Lokalkolorit gebraucht hätte, packend ist er. Regisseur und Drehbuchautor Zeresenay Mehari erzählt hier von dem Kampf David gegen Goliath in Form einer noch immer nicht ganz ernst genommenen Frauenrechtlerin gegen patriarchische und selbstgefällige Strukturen. Mitfiebern und Daumen drücken ist also angesagt, was nicht nur des Inhalts wegen, sondern auch dank der mitreißenden Darstellung der Hauptfiguren kein Problem sein sollte. Wenn Hirut mit weit aufgerissenen Augen die Welt um sich herum nicht mehr versteht und Meaza der Frust angesichts einer gleichgültigen Gerechtigkeit der Frust ins Gesicht geschrieben steht, gewinnt Das Mädchen Hirut eine menschliche Universalität, der man sich nur schwer entziehen kann.
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