(„Ghost in the Shell: Stand Alone Complex“ directed by Kenji Kamiyama, 2002)
Im Jahr 2030 ist die Technik so weit fortgeschritten, dass die Grenzen zwischen Mensch und Maschine längst verwischt sind – kaum einer, der seinen Körper nicht durch Implantate aufgewertet hat. Dadurch jedoch ist die Gesellschaft besonders anfällig für Cyber-Angriffe geworden. Besonders ein Hacker macht den Behörden zu schaffen: Der mysteriöse „Lachende Mann“, der es auf Unternehmen abgesehen hat. Aber was genau bezweckt er? Die Spezialeinheit Sektion 9, die sich aus Ex-Soldaten und Polizisten zusammensetzt, will genau dies untersuchen, stößt bei ihren Ermittlungen aber auf Hinweise, dass auch die Polizei und selbst höchste Regierungskreise involviert sind.
Man soll das Eisen schmieden, so lange es heiß ist? Das war nie das Motto des Mangazeichners Masamune Shirow, der weder für große Geselligkeit noch für übergroßen Output bekannt ist. Und auch der auf seinem Comic basierende Science-Fiction-Klassiker Ghost in the Shell sollte trotz seines enormen Erfolges mehrere Jahre lang ohne Fortsetzung bleiben – eine Seltenheit im hektischen Animebetrieb. Erst sieben Jahre später entstand die Serie Ghost in the Shell: Stand Alone Complex, die aber kein klassischer Nachfolger ist, sondern vielmehr eine Art Parallelgeschichte erzählt und damit selbst für Nichtkenner des Films interessant ist.
Allgemein sollte man hier besser keine Wiederholung der Leinwandereignisse erwarten, denn inhaltlich liegen die Schwerpunkte woanders. Was ist noch ein Mensch in einer Zeit, wo künstliche Körper die Norm sind? Diese Frage tauchte immer wieder in Ghost in the Shell auf, verbunden mit diversen existenziellen Überlegungen zu Persönlichkeit und der Bedeutung von Erinnerungen. In Stand Alone Complex werden die Themen zwar gestreift, jedoch nur selten ernsthaft verfolgt. Stattdessen rücken bei Regisseur Kenji Kamiyama (Eden of the East, Guardian of the Spirit) die Actionszenen in den Vordergrund: Verfolgungsjagden, Schießereien, Explosionen.
Inhaltlich ist das weniger interessant und visionär, aber zumindest oft spannend erzählt: Vor allem bei dem sich über mehrere der 26 Folgen hinziehenden Fall des „Lachenden Mannes“, der zum einen Wasser auf den Mühlen von Verschwörungstheoretikern ist, aber auch diverse Spitzen gegen Gesellschaft und Medien enthält, darf mitgefiebert werden. Überhaupt ist Ghost in the Shell: Stand Alone Complex trotz seines futuristischen Äußeren erstaunlich nahbar und jetztbezogen: Lässt man die vielen technischen Spielereien einmal weg, bleibt eine zwar etwas wirre, im Großen und Ganzen aber sehr geradlinige Geschichte, die in der Form auch in der Gegenwart geschehen könnte. Die andere Hälfte der Serie erzählt zum einen von kurzen, in sich abgeschlossenen Fällen, widmet sich manchmal aber auch den Figuren. Vor allem die knuffigen Riesenroboter Tachikoma bekommen erstaunlich viel Sendezeit spendiert, auch in Form kleiner Sketche im Anschluss an jede Folge. Überhaupt wird hier immer mal wieder auf Humor zurückgegriffen, um das Geschehen aufzulockern.
Die Umsetzung durch das Animationsstudio Production I.G (Blood-C, Jin-Roh) ist insgesamt in Ordnung, wenn auch nicht auf demselben Niveau wie der Film: Die Animationen sind etwas spärlicher, bei den Kamerafahrten ruckelt es mitunter etwas unschön. Auffallend wenig – zumindest angesichts des Themas – wurde auf Computereffekte zurückgegriffen, das meiste sind klassische Zeichnungen, deren Designs sich näher als der Film am Manga orientieren und somit die Retro-Wurzeln nicht verleugnen kann. Lediglich die Fahrzeuge sind regelmäßig berechnet, was zwar nicht schlecht aussieht, mit den Hintergründen aber nicht ganz so gut zusammenpasst, wie man es gerne hätte. Dafür ist der Soundtrack der Ausnahmekomponistin Yoko Kanno (Cowboy Bebop, Terror in Tokio) wie immer sehr atmosphärisch. Auch wenn Stand Alone Complex insgesamt schwächer ist als der Film, sehenswert ist die Serie, selbst für Leute, die normalerweise eher weniger mit Anime etwas anfangen können. Und sie war seinerzeit so erfolgreich, dass sie neben einer zweiten Staffel auch den Compilationfilm Ghost in the Shell: The Laughing Man und den TV-Film Ghost in the Shell: Stand Alone Complex – Solid State Society nach sich zog, Ghost in the Shell also doch noch das Multimedia-Franchise wurde, das man von Anfang an erwartet hatte.
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