(„Orange is the New Black – Season 1“, 2013)
Zehn Jahre ist es her, dass Piper Chapman (Taylor Schilling) mit ihrer damaligen Freundin Alex Vause (Laura Prepon) als Drogengeldkuriere durch die Welt flog. Inzwischen hat sie sich längst von diesem Abenteuerleben entsagt, ist glücklich liiert mit dem jüdischen Autoren Larry Bloom (Jason Biggs) und verkauft handgemachte Seife. Doch noch bevor die Verjährungsfrist vorbei ist, wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt und zu 15 Monaten Haft im Frauengefängnis Litchfield Penitentiary verurteilt, wo sie nicht nur Alex wiedertrifft, sondern auch die Bekanntschaft der unterschiedlichsten Leute macht.
Fernsehen war gestern, die Zukunft gehört dem Streaming! In den letzten Jahren hat sich die ehemalige Online-Videothek Netflix als ernstzunehmender Anbieter eigenproduzierter Serien etabliert, die statt wie sonst üblich im Fernsehen ihr Debüt im Internet feiern. Das Politikdrama House of Cards wurde mit Preisen überschüttet, Daredevil gilt als eine der besten Marvel-Produktionen überhaupt. Und auch Orange is the New Black war bei Zuschauern wie Kritikern so erfolgreich, dass mittlerweile die dritte Staffel über die Bildschirme läuft. Die erste liegt jetzt mit etwas Verspätung als Home Release vor, und das ist für alle nicht ganz so internetaffinen Serienfans auch tatsächlich eine gute Nachricht.
Basierend auf Piper Kermans Biografie „Orange Is the New Black: My Year in a Women’s Prison“ erzählt Serienschöpferin Jenji Kohan (Weeds) davon was es heißt, ein Leben fernab der Realität führen zu müssen, welchen Einfluss dies auf dein Umfeld hat. Aber auch, was eine solche Erfahrung mit dir macht. „Du kannst dich hier nicht verstecken“, stellt Piper irgendwann fest und bringt damit die erschreckendste Nebenwirkung einer Inhaftierung auf den Punkt: Im Gefängnis gibt es keine Floskeln oder soziale Standards, mit denen du dich und andere belügen kannst. Umringt von anderen gescheiterten Persönlichkeiten und ohne Rückzugsorte lernst du dich selbst kennen, tief in dir, verstehst wer du bist mit all deinen Schwächen und Abgründen.
Traurig ist Orange is the New Black dann auch oft, gerade bei den zahlreichen Rückblenden, durch die gezeigt wird, wie die anderen Insassinnen ihren Weg ins Gefängnis fanden und zu dem wurden, was sie sind. Und da wurde wirklich aus den Vollen gegriffen: Geschichten von Drogenmissbrauch werden erzählt, von Identitätsstörungen und ungewollten Unglücken, dummen Fehlern, falsch verstandener Gerechtigkeit, die Suche nach Halt. Einige der Schicksale gehen einem zu Herzen, andere sind vielleicht ein bisschen dick aufgetragen.
Aber Orange is the New Black will ohnehin kein reines Drama sein, wofür allein schon die überaus skurrilen Figuren sorgen – auf beiden Seiten des Gesetzes. So hat Pipers Gefängnisansprechpartner Sam Healy (Michael J. Harney) ein großes Problem mit Lesben, Wärter George „Pornstache“ Mendez (Pablo Schreiber) liebt es, seine Macht auszuspielen, und führt nebenher einen gut gehenden Drogenschmuggel. Dadurch gerät er immer wieder mit der resoluten Köchin Galina „Red“ Reznikov (Kate Mulgrew) aneinander, die ebenfalls kleinen Schmuggelaktivitäten nicht abgeneigt ist, sich aber als Schutzpatronin ihrer Mitinsassinnen fühlt und das Gefängnis drogenfrei halten wird. Auch Tiffany „Pennsatucky“ Doggett (Taryn Manning) sieht sich in einer Beschützerposition, nervt jeden mit ihren übertrieben gläubigen Ansichten. Und dann wäre da noch die psychisch labile Suzanne „Crazy Eyes“ Warren (Uzo Aduba), die Piper gleich als neue Partnerin auserkoren hat – ohne dass die da ein Wort mitzureden hat.
Es braucht eine Weile, sie hier alle kennenzulernen, so wie Piper ist man erst einmal überwältigt von den vielen Menschen, die sie plötzlich umgeben und die erst nach und nach Konturen erhalten. Allgemein hat Orange is the New Black etwas damit zu kämpfen, zu viel auf einmal erreichen zu wollen, absurden Humor mit Tragik verbindet, Knastklischees mal parodiert, dann sie aber doch verwendet und durch die ständigen Rückblenden sich selbst immer wieder aus dem Takt bringt. Allein deshalb schon wirken die dreizehn Episoden manchmal etwas ziellos, ohne einen echten Plan, wo das alles überhaupt hinführen soll. Aber es ist ein unterhaltsames Umherirren, ein Labyrinth, in dem wir selt- wie einprägsame Charaktere treffen, mit ihnen weinen und lachen dürfen, in dem Sympathien einzelnen Figuren gegenüber schnell ins Gegenteil verkehren können – und umgekehrt. Wer Serien vor allem ihrer menschlichen Komponente wegen schaut, darf sich über die Veröffentlichung der Knastgeschichte freuen. Und darüber, dass Staffel zwei nahezu zeitgleich erschienen ist, da der Auftakt wie so üblich in einem fiesen Cliffhanger endet.
(Anzeige)