(„Futatsume no mado“ directed by Naomi Kawase, 2014)
Der jugendliche Kaito (Nijiro Murakami) hat die Trennung seiner Eltern noch immer nicht ganz überwunden, verzeiht seiner Mutter nicht, dass sie anschließend Liebhaber hat und er auf einer kleinen Insel leben soll. Auch Kyoko (Jun Yoshinaga), mit der er sich anfreundet, ist in Gedanken ständig bei ihrer Mutter, denn diese liegt im Sterben. Während Kaito damit beschäftigt ist, seinen Platz in der Welt zu finden und die Gründe für die Scheidung zu verstehen, muss sich Kyoko mit dem Thema Tod auseinandersetzen – auch deshalb weil ihre Mutter die Schamanin der Insel ist.
Den eigenen Film als Meisterwerk zu bezeichnen, ist nicht unbedingt ein Zeichen großer Zurückhaltung. Aber an dieser ist die japanische Regisseurin und Drehbuchautorin Naomi Kawase in Still the Water ohnehin nicht interessiert. Es sind die großen Themen, die ihr am Herzen liegen: Leben und Tod, Liebe und Einsamkeit, Naturverbundenheit und Spiritualität. Und wie groß die Themen sind, daran lässt sie keinen Zweifel, greift sie ein ums andere Mal wieder auf, begleitet von umwerfenden Landschaftsaufnahmen und einer getragenen Musik.
Die Schächtung einer Ziege ist eines dieser Sinnbilder, anhand derer die fließenden Übergänge zwischen den einzelnen Themen veranschaulicht werden und die oft ein wenig zu lang geraten sind. Das gilt dann auch für Still the Water als solchen, der seine zweistündige Laufzeit nicht etwa durch Handlung oder neue Erkenntnisse rechtfertigt, sondern durch fast mantraartige Wiederholungen, wie eine Meditation, die immer tiefer hinabtaucht – in das Bewusstsein, in die Gefühlswelt, in die Wellen.
Wasser ist dann auch ständig zu sehen: Das Meer, das gibt, das Meer das nimmt. Eine Leiche ist es, die Kaito an dessen Ufer findet und die er für einen der Liebhaber seiner Mutter hält. Es ist seine erste Begegnung mit dem Tod, die zusammen mit der langsam erblühenden Liebe zu Kyoko – von der beide nichts wissen wollen –, für ihn die wichtigen Etappen auf dem Weg ins Erwachsenenalter darstellen. Als Coming-of-Age-Drama könnte man Still the Water daher auch beschreiben, nur dass hier zu den sonstigen Pubertätsproblemen eben noch die spirituelle Komponente hinzukommt.
Ob es diese gebraucht hätte, darüber darf man geteilter Meinung sein. Auf der einen Seite geben sie dem Film zusammen mit dem Setting der kleinen subtropischen Insel eine Exotik, die das sonst so auf Alltäglichkeit bedachte Genre normalerweise nicht aufweist. Hin und wieder drängt sie sich aber etwas zu sehr in den Mittelpunkt, wirksamer sind dann doch die leiseren Momente, wenn Kaito und Kyoko die Universalität gewinnen, die Still the Water so eifrig drinnen und draußen sucht. Wer Geschichten über das Erwachsenwerden schätzt, sollte daher auch in der japanischen Variante viel Sehenswertes finden. Und allein für die traumhaften Bilder lohnt sich der Gang ins Kino: Wenn wir mit den Figuren am Strand sitzen, uns in die Fluten stürzen oder durch riesige Schilffelder waten, nimmt uns Kawase mit in eine Welt, die uns gleichzeitig fremd und doch sehr vertraut ist.
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